Karadzic’ langer Schatten

Eine Woche vor den Wahlen in Bosnien und Herzegowina sorgt eine Studie über Kriegsverbrecher in der Republika Srpska und der Karadzic-Partei SDS für Unruhe

BRCKO taz ■ Eigentlich hatten sich die internationalen Institutionen in Bosnien und Herzegowina einen ruhigen Wahlkampf für die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am kommenden Wochenende vorgestellt. Nach den Machtwechseln in Belgrad und in Zagreb erhofften sich die Vertreter der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Wolfgang Petritsch, einen Wahlkampf, aus dem die moderaten Kräfte in allen Bevölkerungsgruppen der Bosniaken (Muslime), Serben und Kroaten gestärkt hervorgehen sollten.

Die Rechnung schien auch aufzugehen. Nach den Kommunalwahlen im Frühjahr diesen Jahres hatte es schon einen radikalen Wandel bei der bosniakischen Bevölkerungsgruppe gegeben, sie wählte mehrheitlich sozialdemokratisch. Die muslimische Nationalpartei SDA unter dem inzwischen von allen offiziellen Ämtern zurückgetretenen Alija Izetbegovic verlor selbst in ihren Hochburgen die Mehrheit an die Sozialdemokraten (SDP). Die in den kroatischen Gebieten dominierende kroatische Nationalpartei HDZ konnte nur noch die Hälfte ihrer früheren Wähler mobilisieren.

Nur in den von Serben kontrollierten Gebieten Bosniens und der Herzegowina, der so genannten Republika Srpska, konnten die Nationalisten der „Serbischen Demokratischen Partei“ (SDS) die Wähler für sich gewinnen und wieder zur stärksten Partei der Serben werden. Auch jetzt stehen die Prognosen für die SDS günstig.

Doch die am 2. November erschienene Studie der renommierten „International Crisis Group“ (ICG) über den weiterhin bestehenden politischen Einfluss von Kriegsverbrechern im politischen Leben der bosnischen Teilrepublik Repubika Srpska hat den ruhigen Ablauf der Wahl in Frage gestellt. In der Studie wird nämlich der Ausschluss der Partei des ehemaligen Serbenführers Radovan Karadzic von den Wahlen gefordert.

Auch Richard Holbrooke, der Architekt des Friedensabkommens von Dayton, schlug bei einem Besuch in Sarajevo in die gleiche Kerbe. 1999 hätte die internationale Gemeinschaft die Teilnahme der ebenfalls extremistischen Serbischen Radikalen Partei an den Wahlen verhindert. Dies könnte nun auch mit der SDS geschehen. Wütende Proteste der serbischen Extremisten waren die Folge.

In ihrer Analyse kommt die International Crisis Group zu dem Ergebnis, die SDS sei nicht nur in ihrer Ausrichtung von ihrem früheren Vorsitzenden Karadzic beeinflusst, sondern auch ganz praktisch. Täglich würde Karadzic, der sich weiterhin im Ostteil der Republika Srpska aufhält, über alle Details der Parteiarbeit informiert, weiterhin würde mit ihm die Strategie und Taktik der Partei abgesprochen. Und die liege darin, die Implementierung des Abkommens von Dayton zu torpedieren, so in der Frage der Rückkehr der vertriebenen Nichtserben.

Die ethnischen Säuberer befänden sich nach wie vor in hohen Positionen. Die Studie nennt 75 Personen, die an Kriegsverbrechen teilgenommen haben, die aber bisher von dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag nicht angeklagt worden sind. Die SDS habe das Ziel, die Republika Srpska als „ethnisch gesäuberte“ Region zu behaupten, begründet die ICG ihre Forderung nach Verbot der Partei.

Aus politischen Erwägungen heraus stellt sich der Hohe Repräsentant Wolfgang Petritsch gegen das Verbot der Serbischen Demokratischen Partei und damit auch gegen Richard Holbrooke. Kurz vor den Wahlen sollten die nationalistischen Gefühle nicht aufgewühlt werden. Petritsch setzt auf die Vernunft der Wähler, verweist auf Erfolge, so die Rückkehr vieler Vertriebener in diesem Jahr in die Republika Srpska. Die SDS habe in den letzten Monaten einige ihrer Positionen aufgeweicht, heißt es aus dem Kreis der Mitarbeiter. Zudem sinke die Fähigkeit der Karadzic-Partei, die serbische Bevölkerung für ihre Ziele aktiv zu mobilisieren. ERICH RATHFELDER