: Lesen im Abseits
Vier Millionen Mark fehlen im Haushalt der öffentlichen Bibliotheken. Das bedroht Leihverkehr, Neuerwerbungen und auch die Vernetzung der Häuser – die eigentlich die Misere lindern sollte
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Einen Schock versetzte Claudia Lux, Generaldirektorin der Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) Berlin, gestern dem Kulturausschuss des Abgeordnetenhauses: Fast 4 Millionen Mark fehlen im Haushaltsplan der Amerika Gedenkbibliothek (AGB) und der Berliner Stadtbibliothek. Damit ist nicht nur der Leihverkehr gefährdet, sondern auch der Verbund der Öffentlichen Bibliotheken Berlin (VÖBB), der im Mai 2001 realisiert werden sollte.
Drastisch beschrieb Lux die Unmöglichkeit, den Fehlbetrag durch Einsparungen oder Einnahmen auszugleichen. 19 Personalstellen wurden schon gestrichen, seitdem die AGB 1995 mit der Stadtbibliothek vereinigt wurde. Schon jetzt fehlen 15 Einstellkräfte, um die täglich zurückgebrachten 6.000 bis 9.000 Bücher und Kassetten zurückzusortieren. Aushilfskräfte aus dem Gefängnis oder vom Sozialamt, mit denen die AGB zur Zeit arbeitet, seien auf Dauer keine Lösung. „4.000 bis 6.000 Besucher kommen täglich zu uns, das sind mehr, als an einem Wochenende zu Alba Berlin gehen“, sagt Lux. In keiner anderen Kulturinstitution treffen sich so unterschiedliche Nutzer auf der Suche nach Wissen und Unterhaltung. Mögliche Sponsoren, die Lux zu gewinnen suchte, schreckten vor den baulichen Zuständen in den stark beanspruchten Bibliotheken zurück. An Maßnahmen, um dem Schimmel entgegenzuwirken, der in beiden Häusern am Bestand nagt, kann sie unter diesen Umständen kaum denken.
Seit Mitte der Neunzigerjahre leiden die öffentlichen Landes- und Bezirksbibliotheken, deren Erwerbungsmittel um die Hälfte schrumpften, an Veralterung ihrer Bestände. Ein Baustein, um diesem Abbau der kulturellen Basisversorgung entgegenzuwirken, ist ihre geplante Vernetzung, die im Oktober 1998 beschlossen wurde. Dann kann man zumindest erfahren, ob Bücher, die im Wedding fehlen, in Kreuzberg oder Mitte zur Verfügung stehen. Für die Software der 160 Bibliotheken wurden 24,5 Millionen Mark zur Verfügung gestellt, Hardware- und Folgekosten aber müssen die Häuser selbst tragen.
Doch jetzt hat die ZLB, die das Projekt koordiniert, nicht mal die notwendigen 500.000 Mark zur Schulung ihrer Mitarbeiter für die komplexen Systeme. „Unter diesen Umständen“ sagte die Generaldirektorin, „kann der Termin, im Mai nächsten Jahres ans Netz zu gehen, nicht eingehalten werden.“ Damit wären die Bezirksbibliotheken, die neben den zu verkraftenden Einsparungen Arbeitskräfte für die Vorbereitung des VÖBB abstellen mussten, doppelt gestraft.
Die einzige Möglichkeit, das Finanzloch zu stopfen, wäre, den gesamten Erwerbungsetat von 3,7 Millionen zu opfern. Dann könnte die ZLB aber kaum noch ihrem gesetzlichen Auftrag der Informationsversorgung nachkommen: Es gäbe keine aktuellen Bücher, Zeitschriften oder CDs mehr. Der Kulturausschuss beschloss gestern, den veranschlagten Etat von 41,2 Millionen für 2001 nicht zur Verabschiedung zu empfehlen. Das Problem wird in zehn Tagen Thema im Hauptausschuss sein.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen