Votum für die Leiche

Was heute noch gewählt wird: ein Drittel Senat, ein ganzes Abgeordnetenhaus, viele lokale Kandidaten

Nicht nur der Präsident wird heute gewählt, sondern alle 435 Abgeordneten des Repräsentantenhauses und ein Drittel (34 Mitglieder) des hundertköpfigen Senats. Hier sind prominenteste Kandidaten Hillary Clinton im Bundesstaat New York und der tödlich verunglückte Mel Carnahan in Missouri. Sein Name konnte nicht mehr von der Liste gestrichen werden. Falls die Leiche die Wahl gewinnt, will der Gouverneur die Witwe als neue Senatorin ernennen. Das dürfte verfassungsrechtliche Probleme geben. Außerdem werden in einzelnen Bundesstaaten Gouverneure, Landtage, Sheriffs, Richter, Kämmerer und Schulräte gewählt und wird über Volksbegehren abgestimmt.

Politiker und Kommentatoren gehen davon aus, dass das Ergebnis dieser Wahl mit neuen Mehrheiten im Kongress im Verein mit einer neuen Regierung dem Land eine völlig neue Richtung geben könnte. Wer auch immer ins Weiße Haus einzieht, so die Überlegung, dessen Partei wird auch die neue Mehrheit im Kongress stellen. Der neue Präsident wird auch in den nächsten Jahren frei werdende Stellen im obersten Bundesgericht besetzen, womit nicht nur die höchstrichterlich sanktionierte Abtreibungsfreiheit bedroht ist, sondern auch die als „Affirmative Action“ bekannte aktive Gleichstellungspolitik gegenüber Frauen und Minderheiten beendet werden könnte.

Eins der wichtigsten Ergebnisse dieser Wahl wird sich allerdings nur mittelbar auf Bundes-, dafür aber unmittelbar auf Länderebene auswirken. In Jahr 2001 werden auf der Basis der Volkszählung 2000 die Wahlkreise neu eingeteilt – Zuwanderungsgebiete im Süden bekommen zusätzliche Wahlkreise, die alten Bevölkerungszentren im Nordosten, aus denen Menschen abgewandert sind, verlieren Wahlkreise. Die Partei, die diese Neuaufteilung gestaltet, schreibt die Mehrheiten der Zukunft fest.

Bei näherem Hinsehen aber bleibt auch nach der Wahl allerhand sehr stabil. „Sitze im Repräsentantenhaus sind sicherer als die im Politbüro von Havanna“, sagt James Thurber, Direktor des Zentrums für das Studium von Kongress und Präsidentschaft an der Washingtoner American University. Von den 400 Abgeordneten, die sich um eine Wiederwahl bewerben, haben 68 überhaupt keinen und nur 40 einen ernst zu nehmenden Gegenkandidaten. Um die wenigen wirklich umstrittenen Sitze ist ein Wahlkampf entbrannt, dessen Heftigkeit man an den Geldmitteln erkennen kann, die in ihn geflossen sind: 526 Millionen Dollar in den Kampf um das „House“ und 335 Millionen in den Senatswahlkampf – eine Zunahme um 36 Prozent gegenüber dem letzten Wahljahr, 1998.

So gering die Zahl wirklich offener Mandate auch ist, sie reicht, um die knappen Mehrheiten der Republikaner im Repräsentantenhaus (11 Sitze) und im Senat (8 Sitze) umzukehren. Doch selbst wenn sich als richtig erweist, dass die Partei, die ins Weiße Haus einzieht, auch im Kongress die Mehrheit stellt, so wird diese Mehrheit doch so hauchdünn sein, dass sich Republikaner und Demokraten, Exekutive und Legislative gegenseitig blockieren werden. Regiert wird dann, wenn überhaupt, nur per Kompromiss – oder per Intrige, List und Tücke wie im Falle des Impeachments von Clinton.