Vor einer neuen Eiszeit?

Es ist gerade vier Monate her, dass Deutschland und Iran einen Neuanfang ihrer Beziehungen feierten. Nach den Anklagen steht das alles wieder in Frage

von THOMAS DREGER

Zwischen Iran und Deutschland droht eine neue Eiszeit. Fast vier Jahre nach dem Mykonos-Urteil wurde gestern Irans Botschafter in Berlin, Ahmad Asisi in das Auswärtige Amt einbestellt – eine der schärferen Formen des diplomatischen Protestes. Asisi musste sich die Kritik der Bundesregierung an mehreren politischen Prozessen und Anklagen in der Islamischen Republik anhören. Sie alle stehen im Zusammenhang mit einer Konferenz der den Grünen nahe stehenden Heinrich-Böll-Stiftung zum Reformprozess in Iran im April dieses Jahres in Berlin.

Die iranischen Justizbehörden hatten am Sonntag und Montag fünf Beteiligte der Konferenz vor das Revolutionsgericht zitiert und ihnen offenbart, sie müssten sich wegen versuchten Umsturzes verantworten. Unter den Vorgeladenen ist auch der offizielle Übersetzer der deutschen Botschaft in Teheran, Said Sadr. Er war einige Tage zuvor bereits vorübergehend verhaftet worden. Die staatliche Nachrichtenagentur Irna verbreitete zudem, die Justiz gehe davon aus, dass die Angeklagten mit der verbotenen Oppositionsgruppe der Volksmudschaheddin kooperiert hätten. Freunde der Angeklagten befürchten, dass das Gericht extrem harte Urteile aussprechen könnte, bis hin zu Todesurteilen.

Ebenfalls angeklagt wurden Teilnehmer und Organisatoren der Veranstaltung, die sich derzeit in Deutschland aufhalten, darunter drei deutsche Staatsbürger. Als Staatsfeind Nummer eins im Ausland gilt den Iranern anscheinend der Deutsche Thomas Hartmann. Der taz-Mitbegründer und langjährige Redaktionsleiter hatte im Auftrag der Stiftung die Konferenz maßgeblich organisiert. Außerdem auf der Abschussliste stehen die Doppelstaatsbürger Bahman Nirumand und Mehdi Jafari Gorzini sowie die beiden nach der Konferenz in Europa gebliebenen Iraner Dschangis Pahlavan und Kasem Kardavani. „Wenn sie nicht vor Gericht erscheinen, wird eben in Abwesenheit gegen sie verhandelt“, zitierte Irna einen Mitarbeiter der Justizbehörden.

Die Konferenz war als Versuch des Dialogs mit den iranischen Reformkräften geplant. Doch massive Störungen durch Exiliraner machten sie zum Fiasko. Radikale Linke – aber sehr wahrscheinlich auch Mitarbeiter des iranischen Geheimdienstes – versuchten, jede Kommunikation zu verhindern. Während der Veranstaltung gedrehte Videoaufnahmen kamen den inneriranischen Reformgegnern gerade recht. So zeigte das von Konservativen dirigierte staatliche Fernsehen einen Beitrag, der die Realität vollständig verdrehte. Jene, denen die Störer das Wort verbieten wollten, wurden als Verbündete der Störer und damit Staatsfeinde dargestellt.

Die jetzt erhobenen Vorwürfe seien „weit mehr als eine Verdrehung der Realität“, erklärte gestern Thomas Hartmann gegenüber der taz. Zudem sei „schon der Gedanke absurd, dass man mit einer Konferenz im Ausland eine Regierung stürzen kann.“

Sämtliche nach der Konferenz in den Iran zurückgekehrten Iraner waren anschließend von der Justiz einbestellt worden. Die meisten sind derzeit gegen Kaution auf freiem Fuß. Inhaftiert sind aber immer noch der Publizist Akbar Gandschi und der schiitische Theologe Hassan Jussevi Eschkevari. Letzterer muss sich vor einem speziellen nur für Kleriker zuständigen Gericht verantworten, vor dem ihm kein Rechstanwalt zur Verfügung steht. Ebenfalls inhaftiert ist der Übersetzer Chalil Rostamchani. Er hatte bei der Vorbereitung der Veranstaltung in Teheran gedolmetscht und Kontakte zu den späteren Teilnehmern hergestellt.

Die jetzt begonnenen Prozesse und erhobenen Anklagen sind ein Affront gegen die Bundesregierung, die sich um eine Wiederannäherung an die Islamische Republik und vor allem an die dortigen Reformkräfte um Präsident Mohammad Chatami bemüht. Bisheriger Höhepunkt dieser Anstrengungen war die Einladung des iranischen Regierungschefs zum Besuch von Berlin und Weimar im Juli.

Doch anders als die Regierung ist das iranische Justizsystem fest in den Händen der Reformgegner. Mit den Anklagen wollen sie Chatami doppelt beschädigen: einerseits, indem sie seine Glaubwürdigkeit als durchsetzungsfähiger Reformer in der Bevölkerung untergraben; andererseits, indem sie die vom Präsidenten betriebene Öffnung des Landes sabotieren. Europa sei für die Außenpolitik des Präsidenten das Tor zur Welt, hatte es in Teheran in den letzten Monaten immer wieder geheißen. Doch dieses wollen die Hardliner zuschlagen. Die Anklage von deutschen Staatsbürgern sowie Angestellten der deutschen Botschaft sind da ein probates Mittel. Diese Strategie droht Erfolg zu haben. In den letzten Wochen zeigte sich Chatami amtsmüde. Er überlege sich ernsthaft, ob er zur nächsten Legislaturperiode noch kandidieren werde, sagte er. Die Folge wäre wohl eine neue Eiszeit innerhalb Irans.