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Das letzte Gefecht

Verzweifelt versucht die Medienindustrie, ihre alten Urheberrechte im Internet durchzusetzen. Aber technische Lösungen reichen nicht aus; auch für digitale Bücher werden freie Tauschbörsen entstehen

von NICOLA D. SCHMIDT

Das Datenformat MP3 und die Tauschbörse Napster sind dabei, den Musikmarkt auf den Kopf zu stellen. Der Bertelsmann-Konzern hat letzte Woche öffentlich die Konsequenzen gezogen. Er will die Napster-Gemeinde nicht mehr mit Klagen überziehen und kündigt eine „strategische Kooperation“ mit dem ehemaligen Erzfeind an.

Einzelheiten dieses Plans sind noch nicht bekannt. Wenn er gelingt, wird er Vorbild auch für andere Medienbereiche sein. Denn obwohl es heute eher ungewöhnlich anmutet, Goethe am Bildschirm zu lesen, bastelt die Industrie bereits an Lösungen, um auch Bücher digital über das Internet vertreiben zu können.

Vor zwei Jahren kündigte die Firma Nuvomedia ihr „Rocket eBook“ als „Revolution des Buchmarktes“ an. Das Buch der Zukunft ist etwa so groß wie ein DIN-A5-Heft und kann bis zu 36.000 Druckseiten speichern. Wer einen Roman lesen will, lädt sich den Text zunächst aus dem Internet auf seinen PC und überspielt ihn dann auf das eBook.

Nur sehen Buchverlage schon jetzt mit Grausen ihren Napster voraus. Die kostenlose Tauschbörse für Leseratten ist nur die nächste, unvermeidliche Konsequenz des E-Book: Als Stephen King seinen Roman „Riding the Bullet“ über das Internet in digitaler Form vertrieb, hackte ein Computerexperte den Kopierschutz und stellte das Buch unverschlüsselt ins Netz.

Auch Bertelsmann setzte bisher allein auf technische Systeme, um den freien Datentausch zu unterbinden. Das so genannte Digital Rights Management (DRM) soll das Urheberrecht auch dann schützen, wenn Kopien der Werke bereits auf dem PC des Nutzers gespeichert sind. In der Regel werden Verschlüsselungsalgorithem und so genannte Wasserzeichen eingesetzt. Auf verschlüsselte Daten kann nur zugreifen, wer ein Passwort gekauft hat. Diese Methode hat sich allerdings bereits bei DVD als unzureichend herausgestellt, und auch Microsofts Windows-Media-Audio-Standard wurde einen Tag nach seiner Vorstellung bereits gehackt. Wasserzeichen sind Kennzeichen, die in den Datenstrom eingearbeitet werden, ohne dass der Benutzer etwas davon merkt.

Kein Standard in Sicht

Die Nachfrage nach einem sicheren Schutz von Urheberrechten ist unverändert hoch. Auch deutsche Unternehmen drängen auf den Markt. Im März dieses Jahres stellte die Firma „Digital World Services“, ein Spin-off von Bertelsmann, ihre DRM-Dienstleistungen vor. Sie verspricht, die Verschlüsselung von Inhalten mit den Geschäftsstrategien des Anbieters verknüpfen zu können. Beispielsweise könnte dem User erlaubt werden, ein Musikstück einmal kostenlos anzuhören und für jedes weitere Mal eine Gebühr zu entrichten.

Auch im Bereich der Bücher sind solche Strategien geplant: Das erste Kapitel eines Buchs wird gratis ins Netz gestellt, um den User dann häppchenweise für jedes weitere Kapitel bezahlen zu lassen. Um die Weitergabe zu verhindern, könnten die Dateien so codiert sein, dass sie nur auf dem Computer des Käufers lesbar sind.

Einen Monat zuvor hatten Microsoft und Xerox bekannt gegeben, mit der gemeinsamen Firma ContentGuard eine DRM-Lösung für jegliche Art von Content anbieten zu wollen. „DRM wird der Kern des zukünftigem E-Commerce sein“, ist sich Yalan King sicher, Marketingmanagerin bei ContentGuard.

Kern der Systems ist die Extensible Rights Markup Language (XrML), eine XML-basierte Auszeichnungssprache, mit der sich Nutzungsrechte und Lizenzierungsmodelle festlegen lassen. XML ist eine Schwester von HTML, die im professionellen Bereich eigene Befehlsstrukturen ermöglicht. Beide gehören zur Gruppe der Standard Generalized Markup Language (SGML), die als Metasprache dient, um die Unterarten HTML und XML zu beschreiben. ContentGuard will nun XrML als Standard für DRM etablieren und stellt kostenlose Lizenzen zur Verfügung. Die Website zählt eine Reihe namhafter Firmen auf, die XrML unterstützen, darunter Adobe, die Bertelsmann Services Group und Hewlett-Packard.

Bisher ist XrML aber noch keiner Standardisierungsorganisation vorgelegt worden. Auch die Musikbranche kann sich nicht auf einen Kopierschutzstandard einigen. Seit Februar 1999 wird darüber im Rahmen der Security Digital Music Initiative (SDMI) verhandelt. Neben 200 kleinen Firmen und der Recording Industry Association of Japan (RIAJ) sitz auch die Recording Industry Association of America (RIAA) am Tisch, der Hauptkläger gegen Napster.

Reichlich unklar ist dabei die Rolle von Bertelsmann. In diesem Mai verkündete Microsoft, dass auch der von Bertelsmann übernommene US-Verlag Random House Titel in einer von Microsoft hergestellten Softwareversion anbieten wolle. Lesbar werden die Bücher nur mit dem „Microsoft Reader“ – in Konkurrenz zum „Acrobat Reader“ von Adobe.

Müssen wir also bald für alles zahlen? DRM-Systeme können auch Präsentationen, Diagramme und Bilder auf Webseiten vor dem Kopieren schützen. Karlheinz Brandenburg, Leiter der Arbeitsgruppe Elektronische Medientechnologie des Fraunhofer-Instituts in Erlangen, winkt ab: „Zum Beispiel gibt es ein Projekt, bei dem sich die Kunden kostenlos Daten herunterladen können, die erst, wenn sie sich mit ihrer E-Mail-Adesse registriert haben, voll funktionsfähig sind. Diese Adressen werden dann verkauft – für die Werbetreiber sind Adresslisten Gold wert.“ Aber auch das Fraunhofer-Institut, Miterfinder des MP3-Formats, arbeitet an DRM-fähigen Audiokomponenten und -anwendungen, für die Vermarktung sorgt ein Abkommen mit der Firma Inter Trust.

Sinnlose Hysterie

Die Wirtschaftsforscher von Forrester Research allerdings kommen in einer Studie vom September diese Jahres zu dem Schluss, dass sich DRM nicht durchsetzen wird. Sie gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2005 die Musikverlage mit 3,1 Milliarden Dollar und die Buchverlage mit immerhin 1,5 Milliarden Dollar Verlust rechnen müssen. Einziges Gegenmittel besteht ihrer Meinung nach darin, Konzepte wie die Musiktauschbörse Napster für die Zwecke der kommerziellen Verlage zu nutzen.

Offenbar folgt Bertelsmann diesem Rat. Schon zuvor hatte der Horror-Autor Stephen King seinen eigenen Mittelweg gefunden. Er stellt seinen Roman „The Plant“ Stück für Stück ins Netz und fordert die Leser auf, freiwillig einen Dollar pro Kapitel zu zahlen.

„Als ich die ersten beiden Teile ins Netz stellte, war meine Hoffnung auf Erfolg nicht sehr groß. Öffentlich habe ich immer großes Vertrauen in die menschliche Natur vertreten, aber ich habe mich schon gefragt, ob jemals jemand für etwas im Netz zahlen wird. Nun sieht es so aus, als würden die Leute es tun“, lässt der Autor seine Leser wissen.

Voraussetzung dafür war die erfolgreiche Vermarktung des ersten Teils, der 152.000-mal heruntergeladen – und von 76 Prozent der Leser freiwillig bezahlt wurde. Auch Karlheinz Brandenburg sieht die Hysterie um Raubkopien gelassen: „Die Frage ist doch: Welchen Einfluss hat File-Sharing wirklich auf das Kaufverhalten? Der Umsatz der amerikanischen Plattenindustrie ist im letzten Jahr um 6 Prozent gestiegen. File-Sharing ist nicht per se geschäftsschädigend.“

ndschmidt@gmx.de

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