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Eine unendliche Zeitung

Wird das Lesen erst mit dem Papier schön? Oder tut es auch ein Bildschirm? Jetzt gibt’s die erste deutsche Nur-Internetzeitung www.netzeitung.de – stets aktuell, alle 15 Minuten neu, nie fertig

von JENNI ZYLKA

Zugegeben: Diese Zeilen sind von gestern. So ist das nun mal mit Zeitungen. Irgendwann müssen sie gedruckt werden. Dann werden sie ausgeliefert beziehungsweise gekauft, und viel, viel später hält man sie in den Händen, zerknittert sie am Frühstückstisch oder befeuchtet sie in der Badewanne.

Das alles geht mit der Netzeitung.de, die seit gestern (!) weltweit im Netz steht, natürlich nicht. Aber dafür ist sie „aus Prinzip schneller“: die News werden ständig aktualisiert. Bei der Präsentation in der Berliner Redaktion gestern ging das allerdings noch etwas stockend, denn die US-Präsidentenwahl lag in den letzten Zügen. Und damit demonstrierte die Netzeitung auch schon sehr schön das Problem an einer Zeitung that never sleeps: So aktuell, wie etwas passiert, können die Informationen gar nicht unredigiert weitergeleitet werden, sonst hätte man allein den bekannten News-Ticker. Wenn man sich aber in irgendeiner Form redaktionell mit der Nachricht beschäftigen will (wie in dem Präsidenten-Fall, bei der die Zeitung ihren „politischen Cartoon“ erst publizieren konnte, als das endgültige Wahlergebnis feststand), dann altert sie.

Aber die MacherInnen sind – natürlich – optimistisch. In Skandinavien, wo die Nettavisen von Oslo aus seit vier Jahren über 200 000 LeserInnen täglich mit Nachrichten versorgt, da läuft es nämlich. Was an der Infrastruktur, am technologischen Standard und der Wirtschaft liegt: In den skandinavischen Ländern gibt es eine – relativ zur geringen Einwohnerdichte – extrem große Anzahl Internet-User (jeder dritte Deutsche surft regelmäßig, mehr als die Hälfte aller Skandinavier), und ein Großteil der Import-Export-Geschäfte wird dort über das Internet abgewickelt.

Aber Deutschland, glaubt man dem norwegischen Geschäftsführer der Netzeitung, Knut Skeid, ist jetzt auch reif dafür. Von ihm kommen markige Sätze wie „Deutschland kann es sich nicht leisten, nicht mitzumachen. Wenn sie nicht mitziehen, werden sie hintendran sein.“

Um die deutschen Internetnachrichten für die User attraktiv zu machen, hat sich Skeid einen attraktiven Namen als Chefredakteur in seine Online-Redaktion geholt: Michael Meier (Ex-Chef Die Presse, Berliner Zeitung, Stern, und mit der Netzeitung wieder bei Bertelsmann).

Der erklärte bei der Pressekonferenz noch mal das Konzept, redaktionell erarbeitete Nachrichten, Berichte, Interviews, bewegte Bilder (Streaming) und Animationen mit Links zu anderen Quellen (Zeitungen, Statistiken etc.) zu vervollständigen. Ein anstrengender Job, aber einer muss es tun. In diesem Fall sitzen 24 feste RedakteurInnen vor dem Bildschirm und hasten durch die Neuigkeiten der Welt, kaum passiert, schon im Netz.

Was die herkömmlichen Zeitungen („reaktionär“ reagierten die, sagt Skeid) aber vor allem interessiert, ist, woher das Geld fließt. Schließlich lässt man sich nicht einfach von einer hergelaufenen Zeitung, die es noch nicht mal auf Papier gibt, eventuelle LeserInnen abwerben. Finanziert wird das Projekt durch Werbung und Investoren. Die beiden großen Provider Lycos Europe und Spray.net, die als Shareholder unter anderem mit Bertelsmann kooperieren, liefern die Basis, die Werbung, größtenteils Banner und Pop-ups, den Rest. Genau möchten das weder Geschäftsführer noch Chefredakteur offen legen. Man kann sich aber vorstellen, wie viel Überzeugungsarbeit geleistet werden musste, um die Geschäftsidee zu verkaufen. Deutschland ist eben nicht Finnland, und die Deutschen sind konservativ.

Auch wenn die Netzeitung eigentlich gar keine wirkliche Konkurrenz für normale Zeitungen sein will – auf einer Grafik wird der Peak der Netzeitungs-Hits um die Mittagszeit ausgewiesen. Morgens würden die Papiernachrichten noch immer konsumiert, beruhigt der Geschäftsführer. Abends wird Fernsehen geschaut. Und mittags, vom Büro aus, will man sich eben mal kurz updaten. Das ist das Besondere an der Zeitung: Man hat sie nie ganz durchgelesen.

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