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Routine statt Notstand am Hafen

Für die Ankunft eines Schiffes mit 900 Flüchtlingen in Italien interessiert sich dort kaum jemand. Das liegt an der effizienten Bürokratie. Zudem sind die Zahlen illegaler Einwanderer rückläufig und die Abschiebungsmaschinerie funktioniert perfekt

aus Rom MICHAEL BRAUN

Eigentlich war es eine höchst dramatische Geschichte, die sich am Dienstagmorgen vor der apulischen Küste abspielte. Steuerunfähig, mit ausgefallenen Motoren, trieb dort ein großes, mit knapp 900 Flüchtlingen aus den Kurdengebieten Iraks, Sri Lanka und Pakistan besetztes Schiff in schwerer See auf ein Riff zu. Im letzten Moment erst gelang es einer Fregatte der italienischen Marine, den unter ukrainischer Flagge fahrenden Seelenverkäufer mit dem schönen Namen „Professor Kolesnikow“ an den Haken zu nehmen und in den Hafen Otranto zu schleppen.

Dramatisch waren auch die Umstände der neuntägigen Überfahrt, von denen die sichtlich gezeichneten Passagiere berichteten. 4.000, manchmal 6.000 Dollar hatten sie für die Reise bezahlt, für die ihnen von den Schleuserbanden jeder Komfort in Aussicht gestellt worden war, bevor das Schiff von einem wahrscheinlich türkischen Hafen aus – einige nannten Istanbul – in See stach. Doch die Essenvorräte reichten nur für drei Tage, und an den letzten beiden Tagen war auch das Trinkwasser ausgegangen.

Doch in Italien wollte keine Dramatik aufkommen. Kaum war das Schiff im Hafen, lief eine mittlerweile routinierte Maschinerie an. Noch vor einigen Jahren wurde in gleich gelagerten Fällen jedes Mal sofort die „emergenza“, der „Notstand“ ausgerufen, spielten sich auf den Kais der süditalienischen Häfen chaotische Szenen ab, benötigten überforderte Beamte manchmal mehrere Tage, um die Ankunft der Immigranten zu bewältigen.

Diesmal dagegen war alles in einer Stunde vorbei: Kaum waren die Erstversorgung, Beköstigung und Registrierung erledigt, wurden die Angekommenen mit bereitstehenden Bussen in diverse „Aufnahmelager“ – die in der Regel als Abschiebelager dienen – gebracht, während vier Besatzungsmitglieder des Schiffs in Haft genommen wurden. Schon am Mittag erinnerte nur noch der im Hafen dümpelnde rostige Kahn an das eben Geschehene.

Desinteressiert gleichgültig nahmen auch die italienischen Medien das Ereignis auf, das in den TV-Nachrichten und den großen Zeitungen nur eine Meldung unter „ferner liefen“ wert war. Der Tenor: „Nur die große Zahl“ der Angelandeten mache diesmal den Unterschied aus.

Dass die Ankunft von „Illegalen“ an der Adriaküste keine Nachricht mehr ist, liegt aber wohl nicht nur am reibungslosen Wirken der italienischen Behörden. Wichtiger dürfte sein, dass es Italien gelungen ist, die Zuwanderung höchst erfolgreich und Schengen-konform zu bekämpfen: Die Zahl der Einreisen über den Seeweg ist drastisch gesunken. Mit High-Tech bekämpft die Polizei vor allem den von Albanien aus organisierten Schnellboot-Transit.

Vor allem aber setzt Italien auf die umgehende Ausweisung. So blieb es jetzt der Ministerin für Gesellschaftliche Solidarität vorbehalten, an „eine andere große Zahl“ zu erinnern: die Rückführungen seien auf Jahreswerte von 70.000 hochgeschnellt. Genauso werde auch mit denjenigen Passagieren der „Professor Kolesnikow“ verfahren, die „klandestin“ nach Italien gelangt seien – sprich: mit allen, die an Bord waren.

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