„Wir holen ihn raus!“

Marc Svetov hat einen Roman über das amerikanische Berlin geschrieben: „Truman Plaza, Germany“

von HELMUT HÖGE

Die Amis haben das Leben Westberlins wesentlich mitbestimmt. Ich habe sogar einmal als Zivilangestellter bei ihnen gearbeitet, mir oblag dort die Koordination der Tischler, die die Parkettfußböden in den Offizierswohnungen abschliffen und versiegelten. Ich hielt den Bürojob jedoch nur ein paar Wochen aus. Kurz vor meiner Kündigung lernte ich eine türkische Kollegin dort kennen. Auch mit ihr, die dann Jazzsängerin wurde, ging es nicht lange gut.

Etwas später hatte ich noch einmal Kontakt zu Amis. Das war im Beratungsladen „Forward“ für Schwarze GIs: ein SDS-Projekt gleich neben der Schöneberger Schwarzen-Disco „International“. Zum letzten Mal traf ich zur Wende auf Angehörige der „Berlin Brigade“: Als sie abrückten, kreuzte der Personalrat der Zivilangestellten bei der Berliner Betriebsräte-Initiative auf und bat um solidarische Unterstützung bei der Abwehr ihrer Abwicklung. Das war eher skurril, schließlich handelte es sich zum Beispiel bei der für die Bewachung aller US-Einrichtungen zuständige Sicherheitsbrigade mehrheitlich um ehemals stramm antikommunistische Guerillakämpfer.

Neulich lernte ich den in Berlin lebenden Amerikaner Marc Svetov kennen. Er ist der Privatsekretär des Extrotzkisten und Kalten Kriegers Melvin Lasky. Eigentlich ging es um Journalismus und „Fakes“, worüber Lasky gerade drei Bände geschrieben hatte. Dann kam heraus, dass auch Svetov gerade ein Buch veröffentlicht hatte: Es heißt „Truman Plaza, Germany“, nach dem Zehlendorfer Platz, an dem sich das US-Hauptquartier befand.

Svetov, Jahrgang 1951, hatte in den Achtzigerjahren ebenfalls als Zivilangestellter für das US-Militär gearbeitet – erst als Packer im „PX“, dem Militär-Kaufhaus, und dann in der Großwäscherei und Reinigung, wo er es bis zum Abteilungsleiter brachte. Vornehmlich um diese Einrichtungen dreht sich dann auch die Geschichte. Das Motiv für den Berlin-Aufenthalt des Ich-Erzählers Alan war ursprünglich eine College-Freundin gewesen, die ihn dann jedoch hier wegen eines Haiwaiianers verlässt. Seine Oma hatte ihn vor ihr rechtzeitig gewarnt, auch dass er als amerikanischer Jude ausgerechnet in dieses Land gezogen war, passte ihr nicht.

Ihr Enkel kommt jedoch gut rum: Sein erster TU-Mensabesuch ist für ihn eine Art Dritte-Welt-Erlebnis, in einer Grunewaldvilla zeigt man ihm das Zimmer, in dem Gottfried Benn in den Fünfzigerjahren seine Gedichte vortrug, und in der obersten Etage des KaDeWe lernt er eine der Eisverkäuferinnen persönlich kennen ...

Komisch, ich kannte dort auch mal eine Eisverkäuferin. Sie verkaufte Softeis, das sie mir aber nie anbot, weil es so schrecklich unhygienisch zubereitet wurde – dass allerdings nicht nur im KaDeWe, sondern generell. Sie kümmerte sich auch sonst rührend um mich. Wo ist sie bloß geblieben?

Zurück zu Marcel Svetovs Alan. Seine Lagerraum-Geschichten aus dem PX-Kaufhaus sind wie bereits angedeutet große Klasse. Dort arbeitet ein aus der halben Welt zusammengewürfelter Haufen – bis hoch zu einem Manager, der sich nie blicken lässt. Auch die „Laundry and Dry Cleaning Branch“, wo Alan danach anfängt, ist ein kleines Universum an Geschichten: das Gebäude Nummer 965 in der Andrews-Kaserne, Lichterfelde. „Die Hälfte von Röhms SA war hier im Keller erschossen worden.“

In seiner Freizeit trifft sich Alan mit Ostberliner Intellektuellen in der Kantine des Berliner Ensembles. Er sammelt hüben wie drüben wertvolle Erfahrungen, zum Beispiel die: „Ein einziger Feind an strategisch günstiger Stelle reicht aus, um einen Wäschereimanager zu ruinieren.“ Im Büro der Laundry kommt Alan die Erkenntnis, „dass keiner wirkliche Arbeit leistete! Hier oben gab es nichts Sinnvolles zu tun. Das war anstrengend ...“ Ein Schimmer dieser Erkenntnis war mir Anfang der Siebzigerjahre auch im Büro für die Koordination der Renovierung der Dielenböden in den US-Dienstwohnungen gekommen.

Einmal, als Alan im Army-Krankenhaus in Zehlendorf liegt, besuchen ihn seine Eltern. Alan bekommt eine Beruhigungsspritze, langsam schläft er ein. Von weitem hört er noch, wie sein Vater sagt: „Wir holen ihn raus!“ Dann „schlägt sich mein Dad mit einer Machete durch den Dschungel von Okinawa zu mir. Und da ist Mom in der Uniform des Frauen-Hilfscorps der US-Navy. ‚Nie wieder schlitzäugiger Teufel, nie wieder Hakenkreuze!‘ Ich bin gerettet ...“ Nicht ganz, zuletzt kommt alles noch einmal wieder hoch. Wir müssen uns den Berlin-Roman wohl so ähnlich kumulativ wie die Amerika-Gedenkbibliothek vorstellen.

Marc Svetov: „Truman Plaza, Germany“. Transit Verlag, Berlin 2000, 267 Seiten, 38 DM