: Der lange Arm von „Ardi Beltza“
Der Spanienkorrespondent der „Jungen Welt“ täuscht ETA-kritische Journalisten im Auftrag eines der baskischen Terrororganisation nahe stehenden Magazins. Angeblich wurden die Recherchen für einen deutschen TV-Beitrag geführt. Dessen Produktionsfirma hat aber nicht mal einen Namen
aus Madrid RAINER WANDLER
Der Spanienkorrespondent der Berliner Tageszeitung Junge Welt (JW), Ralf Streck, sieht sich schweren Vorwürfen ausgesetzt. Er soll vier von ETA bedrohte baskische und spanische Journalisten bewusst getäuscht haben, um sie für ein Interview vor laufender Kamera zu gewinnen. Danach gab er die Aufnahmen an die Zeitschrift Ardi Beltza (Schwarzes Schaf) weiter, die der bewaffneten Separatistengruppe ETA nahe steht. Seit wenigen Tagen bietet diese nun das Endprodukt an: Unter dem Titel „Journalisten – das Geschäft des Lügens“ werden die vier von Streck interviewten Mitarbeiter namhafter Medien in dem Video beschuldigt, im Auftrag des Innenministeriums gezielt Lügen über den baskischen Konflikt zu verbreiten.
Mit dieser Behauptung wird im Video auch versucht, den Mord der ETA an dem Kolumnisten der zweitgrößten spanischen Tageszeitung El Mundo, José Luis de Lacalle, im vergangenen Mai zu rechtfertigen.
Zwei der Betroffenen, Carmen Gurruchaga von El Mundo und ihr Kollege Fernando Jauregui von Radio Nacional, erstatteten am Mittwoch Anzeige wegen Verleumdung und berichteten dem zuständigen Richter im Detail, wie die Interviews des JW- Mitarbeiters zustande kamen: Ralf Streck, der in San Sebastian lebt, habe angegeben, für das deutschen Fernsehen zu arbeiten. Er sei eigens angereist, „um die deutsche Öffentlichkeit über die Situation der von ETA bedrohten Journalisten“ zu informieren. Die Kontaktaufnahme lief über einen „Mitarbeiter“ Strecks, der sich als „Fritz“ vorstellte, dessen Handy aber seit Tagen nicht mehr zu erreichen sei. Die beiden gaben in mindestens einem der Fälle die Telefonnummer einer „unabhängigen Produktionsfirma“ in Deutschland an, in deren Auftrag der Film gedreht werde. Bei dieser Nummer in March/Gottenheim, zwei kleinen Orten im Breisgau, meldet sich aber nur eine Voice-Box, die nicht einmal einen Firmennamen nennt.
Auf Nachfrage gibt sich Streck völlig überrascht: Er besteht weiterhin darauf, im Auftrag einer deutschen Produktionsfirma gearbeitet zu haben. Diese, so Streck, „hat nachher das Material verkauft“. Auf die Frage nach dem Namen seines Auftraggebers antwortet er lakonisch: „Fragen sie doch die Interviewten, die haben doch alle Angaben.“
Obwohl Ardi Beltza Streck als Mitarbeiter für Deutschland führt, streitet dieser ab, die Interviews direkt oder indirekt für die ETA-nahe Publikation geführt zu haben.
Pepe Rei, Herausgeber von Ardi Beltza und des umstrittenen Videos, in dessen Abspann Streck als „Interviewer“ erscheint, ist kein Unbekannter. Als Recherche-Chef der im Sommer 1998 verbotenen Tageszeitung Egin stand er schon einmal vor dem Ermittlungsrichter. Damals waren Redaktions-Unterlagen bei einem ETA-Kommando aufgetaucht. Auch wenn die bewaffneten Separatisten sich ganz offensichtlich dieser Dossiers bedienten, um Aktionen vorzubereiten, konnte Rei nie nachgewiesen werden, dass er von deren Weitergabe unterrichtet war.
In Ardi Beltza veröffentlicht Rei nun Informationen über so genannte „Feinde der baskischen Sache“. Er wird gelesen. Der baskische Philosoph Fernando Savater, der dem Bündnis „Basta Ya!“ (Schluss jetzt!) angehört, das gegen die ETA-Gewalt mobilisiert, wird seit einem gegen ihn gerichteten Ardi Beltza-Artikel immer häufiger angefeindet. „Falls einem von uns was passiert, dann wissen sie ja, wer verantwortlich ist, wenn andere auf uns anlegen“, sagte Savater, der sich nur noch unter Polizeischutz bewegen kann. Er übertreibt nicht: Als die Polizei Anfang dieser Woche ein ETA-Kommando in Madrid aushob, stellten sie auch zwei Ausgaben von Ardi Beltza sicher. In einer der beiden Nummern befand sich eine Liste von in Madrid arbeitenden baskischen Journalisten. Unter ihnen befand sich auch Carmen Gurruchaga von El Mundo. Die streitbare Journalistin, die seit einem Anschlag auf ihre Wohnung in San Sebastian unter strenger Bewachung in der spanischen Hauptstadt lebt, wurde im Oktober mit dem Menschenrechtspreis von „Reporter ohne Grenzen“ ausgezeichnet. „Die Lage für journalistisches Arbeiten im Baskenland ist unerträglich geworden“, heißt es im jüngsten Bericht der Organisation.
„Wo ist da die Verbindung?“ reagiert JW-Mitarbeiter Ralf Streck empört auf den Vorwurf, Ardi Beltza würde indirekt ETA-Anschläge unterstützen. Für ihn sind die Opfer vielmehr auf der anderen Seite zu suchen: „Die Angriffe auf all diejenigen, die nicht die Politik der spanischen Regierung in Bezug auf den baskischen Konflikt unterstützen, erreichen derzeit neue Qualitäten“, schrieb er am Mittwoch in der Jungen Welt. Auch Streck selbst sieht sich als von Madrid Verfolgter: „Dass die Angriffe nicht nur verbal ausgeführt werden, musste nicht zuletzt der Verfasser dieser Zeilen feststellen. Nach einer Reise fand er alle vier Reifen seines Autos zerstochen vor.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen