Politik macht die Rating-Agentur

In Argentinien hat der Wirtschaftsminister nur noch die Aufgabe, um Wohlwollen auf den Kapitalmärkten zu werben. Gute Noten bei den Rating-Agenturen sind wichtiger als bezahlbare Preise zu Hause. Doch jetzt droht dem Land der Bankrott

aus Buenos Aires INGO MALCHER

Jeden Morgen tickern im Wirtschaftsministerium in Buenos Aires die neuen Daten für das Länderrisiko ein – jeden Morgen eine Schreckensmeldung. Vom Länderrisiko hängt ab, welche Note die Rating Agentur Standard & Poor’s dem Land gibt. Seit Anfang November steigt das Risiko, weil die Agentur prüfen will, ob sie Argentinien abwerten, sprich: als Land mit hohem Risiko für Anleger einstufen soll.

Wirtschaftspolitik findet in Argentinien nur noch mit Blickkontakt nach Washington und New York statt. Ständig sind Delegationen unterwegs zur Wall Street, um die Investoren zu beruhigen, oder sie reisen zum IWF, um über die Höhe des Haushaltsdefizits zu verhandeln. Präsident Fernando de la Rúa legt Wert darauf, dass jedes Wort über die Wirtschaft abgewogen wird. Nur nichts sagen, was an der Wall Street für Verstörung sorgen könnte. Die Interessen amerikanischer Rentenfonds sind längst wichtiger als altmodische Fundamentaldaten über die heimische Arbeitslosigkeit.

Ohnehin sind Wirtschaftsminister José Luis Machinea die Hände gebunden. Seitdem das Land 1991 die Landeswährung Peso im Wechsel eins zu eins an den Dollar band, werden Preis- und Zinsniveau aus den USA importiert. Nun steckt Argentinien seit zwei Jahren tief in einer Rezession. Zinssenkungen oder andere Hilfsmittel, die die Konjunktur beleben könnten, sind wegen der Dollarbindung nicht möglich.

Verstärkt wird die Krise durch die politischen Wirren der vergangenen Wochen: Der Vizepräsident trat überraschend zurück, mehrere Minister wurden ausgetauscht, andere nahmen ihren Hut. Gerüchte, dass Wirtschaftsminister Machinea bald gehen muss, reißen nicht ab.

Die Preise für argentinische Titel auf dem Markt für Schuldpapiere sind auf den niedrigsten Stand seit Januar 1999 gesunken. Die Staatskasse ist leer. Für den Haushalt 2001 geht die Regierung von einem Wirtschaftswachstum von 3,7 Prozent aus. Das scheint utopisch, denn dieses Jahr lag das Wachstum bei nahezu null. Wegen der Zinsen, die in den USA und folglich in Argentinien stark gestiegen sind, musste dieses Jahr der Haushalt korrigiert werden. Für Zinszahlungen auf Schuldtitel musste eine Milliarde Dollar mehr lockergemacht werden.

Um solche Titel zu bezahlen und liquide zu bleiben, stellt Argentinien Staatsanleihen aus. Zusätzlich gab der Wirtschaftsminister 1,3 Milliarden Peso frei, die auf Sparbüchern eingefroren waren. Bislang blieb jeder einzelne ersparte Peso auf der Bank als Reserve liegen – jetzt darf die Hälfte abgehoben werden. Das hilft zwar den Argentiniern. Damit wurde aber auch eine Reservensicherung aufgehoben, auf die man immer stolz verwiesen hatte.

Die Aussichten sind düster. Im ersten Trimester des kommenden Jahrs werden 7,5 Milliarden Dollar an Schulden und Zinsen fällig. Nach Angaben der Tageszeitung Página 12 muss die Regierung im kommenden Jahr Schulden und Zinsen in Höhe von fast 24 Milliarden Dollar begleichen. Wirtschaftsminister Machinea verhandelt laut Zeitungsbericht heimlich mit dem IWF um einen Stützungskredit.

Wozu die Fortsetzung des Neoliberalismus seines Vorgängers Carlos Menem führt, nimmt Präsident de la Rúa nicht gerne zur Kenntnis. Dieser Tage haben im ganzen Land Arbeitslose, Bauern und Tagelöhner an verschiedenen Stellen im Land die Straßen blockiert – aus Protest gegen die steigenden Preise, die hohe Arbeitslosigkeit, die teuren Mieten, die geringen Löhne. 15 Prozent Arbeitslose zählt Argentinien, und ebenso viele sind Tagelöhner.