Kein Zuspruch für Nationalisten

Das politische Klima in Bosnien-Herzegowina wandelt sich. Pragmatische Reformparteien ohne nationalistische Scheuklappen haben beste Aussichten

aus Sarajevo ERICH RATHFELDER

Noch ragt das Gerippe des einstigen Parlamentsgebäudes in den Himmel Sarajevos. Die unteren Stockwerke sind renoviert. Das Symbol des gemeinsamen Staates Bosnien und Herzegowina ist aber immer noch eine Ruine. „Das Fundament für ein gemeinsames Zusammenleben war eigentlich nie verloren“, sagt Mehmed Alicehajić, Rentner, Muslim mit kommunistischer Vergangenheit, heute Demokrat und einer, der es ernst meint mit der Versöhnung. In allen Bevölkerungsgruppen gäbe es Leute, die dächten wie er, die Macht der Nationalisten schwände, das echte Bosnien der Toleranz erstünde wieder, wenn nur die finsteren Mächte des Krieges endlich gebannt seien.

Heute wird in Bosnien und Herzegowina gewählt. Die bisher in Sarajevo herrschende muslimische Nationalpartei SDA spürt Gegenwind. Seit Expräsident Alija Izetbegović sich vor wenigen Wochen ins Privatleben zurückgezogen hat, ist sie führungslos. Ihre Wahlkampagne appelliert an die Gefühle der muslimischen Bevölkerung, die im Krieg besonders gelitten hat. „Zehn Jahre zusammen“, heißt es schlicht. Kein Wort über die Wirtschaft, Jobs, Reformen. „Mit uns“, sagen dagegen die Sozialdemokraten, „wird es besser werden.“ Spitzenkandidat ist der dynamische Informatikprofessor Zlatko Lagumdjia. Schon jetzt kann er sich als Wahlsieger fühlen. Über 35 Prozent der Stimmen werden den Sozialdemokraten zumindest in der bosniakisch-kroatischen Föderation vorhergesagt. In der Republika Srpska hofft die SDP auf rund 10 Prozent. Schon bei den Kommunalwahlen im April gewannen die Sozialdemokraten drei Distrikte in Sarajevo, drei Distriktbürgermeister stellen sie seither: einen Kroaten, einen Serben und einen Muslim. Die SDP macht Ernst damit, eine Partei aller Volksgruppen zu sein.

Auch der ehemalige Premier Haris Silajdzić rechnet mit einem Erfolg. Der liberale Arabist und Kenner der USA wirbt mit seinem Wirtschaftsprogramm, das zu großen Teilen identisch ist mit dem, das die internationale Gemeinschaft für Bosnien vorgesehen hat. Freie Marktwirtschaft, soziale Sicherung, ein einheitliches Bosnien und Herzegowina. Silajdzić vertritt den modernen Flügel der muslimischen Volksgruppe und treibt die SDA weiter in die Defensive. Seine Forderung, die beiden Entitäten aufzulösen, stößt auf den Widerstand der serbischen Nationalisten. Das kann ihm bei den Muslimen nur nützen.

Die Stadt Sarajevo pulsiert. Viele der im Krieg zerstörten Gebäude sind wieder aufgebaut. Die Verkehrsstaus nerven. Von der angeblich bei 56 Prozent liegenden Arbeitslosigkeit ist nichts zu bemerken. Die Leute haben sich eingerichtet, melden ihre Arbeit nicht bei den Behörden an. Die Geschäfte und Cafés sind voll. Wo das Geld herkommt, das da ausgegeben wird, vermag niemand zu sagen. In den umliegenden Dörfern sind aus den Ruinen neue Häuser entstanden, manche größer und schöner als die zerstörten. Die Armut ist versteckt. Bosnische Muslime kleiden sich schick, selbst wenn sie nichts zu essen haben. Über 100.000 Flüchtlinge, die ihre Stromrechnungen nicht bezahlen können, sitzen in kalten Wohnungen in Sarajevo und hoffen darauf, endlich die Papiere zu erhalten, die ihren verlorenen Besitz ausweisen. Die meisten kommen aus Ostbosnien. Und sie zittern, dass ein anderes Papier ins Haus flattert: die Aufforderung, die jetzt benutzte Wohnung zu verlassen. Denn die gehörte ursprünglich einer anderen, einer serbischen oder kroatischen Familie. Der Hohe Repräsentant der internationalen Gemeinschaft, Wolfgang Petritsch, hat mit den Eigentumsgesetzen Ernst gemacht. Die ethnischen Vertreibungen während des Krieges sollen rückgängig gemacht werden. Die Flüchtlinge sollen in ihre Heimatorte zurück, selbst wenn ihr Besitz zerstört ist und Geld fehlt, die Ruinen wieder aufzubauen.

Der Krieg ist vorbei, man muss an die Zukunft denken, ist die Stimmung. Wirtschaftsreformen und Arbeitsplätze müssen her. „Von nationalistischen Gefühlen kann ich mir nichts kaufen“, sagen die meisten.

Dass auch in Banja Luka viele Leute so zu denken beginnen, wird in allen Medien Sarajevos berichtet. Im liberalen Teil der Republika Srpska, in Westbosnien, hat sich der Wirtschaftsprofessor Mladen Ivanić mit seiner erst vor einem Jahr gegründeten liberal-demokratischen Partei aufgemacht, zur stärksten Kraft in Banja Luka aufzusteigen. Da aber in Ostbosnien die serbische Nationalpartei SDS unschlagbar erscheint, werden die serbischen Nationalisten dort weiterhin über eine Mehrheit verfügen. Und das dämpft die Euphorie in Sarajevo. Ebenso wie der Umstand, dass die ebenfalls in die Defensive geratene kroatische Nationalpartei HDZ versucht, eine Volksabstimmung unter den Kroaten herbeizuführen und damit droht, die Kroatengebiete in Bosnien aus der bosniakisch-kroatischen Föderation zu lösen. Dies wäre illegal und müsste die internationalen Institutionen zur Reaktion herausfordern. Mirza Kuslugić, ein prominenter Vertreter der SDP, bleibt gelassen: „Erst gewinnen wir die Wahlen, dann sehen wir weiter.“