Ziel, leider ohne Weg

■ „Kein Leckerbissen“, aber Erleichterung: Ailton bestürmt das Bochumer Tor so hartnäckig, bis der Ball zweimal drin und das Abstiegsgespenst vertrieben ist

König Otto, Gott hab ihn selig, maulte einst, dass die traditionell freudlose Spielkombination Werder – Bochum wegen akuter Lebensbedrohung aufgrund von Langeweile am besten durch Losverfahren oder ein gnädiges Vorab-Unentschieden zu ersetzen sei. Dann auch noch diese schlimmen Omen am Samstagabend auf dem Hinweg, die Weser entlang: Am Ufer ankerte ein Lastschiff mit dem Schauder-Namen Detlef, die Zahl der Stehpinkler, deren Silhouette malerisch in den illuminierten Nachthimmel ragte, war ungerade (sieben!), und am Uferweg war ein merkwürdiges Kreisgebilde aufgesprüht – Satanismus. Doch hinweg du Aberglaube, schhschh: Nach dem Spiel gab es doch noch eine zuckersüße Überraschung: ein von Dutzenden lila Kühen umsonst verteiltes Schokokuchengebilde in Plastikwanne von Milka, zwar von nachdenklich stimmender Kalorien- und Ökobilanz, aber respektabel in der Geschmacksnote, auch wenn jedes denkfähige Wesen zu gegebenem Anlass alkoholhaltige Werbemaßnahmen vorzieht.

Das Spiel aber war „kein Leckerbissen“, sprach Thomas Schaaf müde-erleichtert ins Mikro von „Premiere“, das aufgrund von terminlichen Zufallsballungen dieses hypernervöse Ligakeller-Gerangel zur Primezeit übertragen musste – arme Pay-TV-Payer. Und Sportdirektor Allofs hatte sich schadenfrohe Fragen über seine Einkaufspolitik (13 Millionen) und Champions-League-Hirngespinste gefallen zu lassen. Selbst das geduldige Publikum war bei einem harmlosen Fehlpass kurz vor der Pause so superstinkig, dass es die Mannschaft in die Hölle hinwegzupfeifen drohte.

Bei den zahlreichen Ecken von Werder – gefühlt etwa 100, bilanztechnisch nur 11 – legten sich die Pressevertreter Augenbinden an und krochen unter ihre Stühle, um diese dramenlosen Rohrkrepierer nicht länger anschauen zu müssen. Irgendwann hatte sogar Andy Herzog genug, lenkte seine Flanke nicht mehr in den Torraum, sondern ins Hinterfeld, worauf Wicky einen bodenkriechenden Weitschuss direkt ins Tor versuchte, obwohl er damit schon zuvor massenhaft scheiterte.

Ebendieser bedingunglose, krampfige Torwille war die Crux – vielleicht kein Wunder bei der knackigen Aufstellung Schaafs mit offensivem Mittelfeld (Bode, Stalteri, Herzog). War da ein gewitzter Doppelpass, eine verspielte, engmaschige Kombination, die Glück im Hier und Jetzt suchte? Ein vorbeifliegender buddhistischer Yogi erklärte die Sache so: Die Werderaner müssen begreifen, dass der Weg das Ziel ist. Aber diesen Weg wollte man sich sparen und wuchtete den Ball immer gleich nach vorne zu dem einen, einzigen Hoffnungsträger: Ailton. Dutzende Male warf der seinen Turbodurchstarter an, wie gewohnt mehrmals rüde gestoppt von Abseitsfahnen-wedelnden Linienrichtern. Zweimal stand er gar Auge in Auge mit dem Bochumer Torwart van Duijnhoven. Der blieb in Engelsgeduld stehen, und bekam den Ball zur Belohnung an die Wampe. Die alte, philosophische Glaubensfrage „Fausten oder Fangen?“ musste er beim regen Durchgangsverkehr im Torraum oft mit Fausten beantworten – feige, aber weise.

Symptomatisch, dass selbst die Einwürfe – von beiden Seiten – oft beim Gegner landeten. Und wenn einem Eilts zu Beginn merkwürdige Abwehrpannen unterlaufen, Bode an sich selbst verzweifelt, Baumann in die Unsichtbarkeit entrückt, hilft nur noch die Zuverlässigigkeit des Bochumer Versagens.

Doch da, ein Wunder, eine verschmitzte Harke rückwärts von Ailton ... Ansonsten aber nur ein faustisches „wer ewig sich bemüht...“ – so wie das Leben, und deshalb doch sehr, sehr schön.

bk

PS: Überraschungstor 1, Ailton, 46. Minute, wo die Pausenwurst die letzte Windung zur Magenpforte passiert, Tor 2, Pizarro, 81. Minute