Bremen ist nicht Dublin

■ Was sich zu einem Problem auswachsen kann, wenn man ein Stück inszeniert, dass aufs Engste mit der irischen Metropole, ihrer Atmosphäre und ihren Problemen verwoben ist.

Enda Walshs „Sucking Dublin“ ist in der Zusammenarbeit mit Dubliner Jugendlichen entstanden, die nicht bloß vom Hörensagen wissen, was Hoffnungslosigkeit bedeutet. Leben, sagt Lep, „ist ein Scheißwitz, der heißt: Stoff schluckn, schluckn, schluckn“. Lep. Solche Lebensweisheiten brüllt man in Dublin schon als Achtzehnjähriger mit Kokainschaum vor dem Mund heraus und teilt diese Erfahrung mit Lämmchen, Steve, Amanda, Fett und wie all die kaputten Gestalten in den Ghettos der Hauptstadt so heißen.

Bremen ist nicht Dublin, weshalb Lukas Langhoff - Sohn von Thomas und bekannt geworden mit der Inszenierung von Walshs „Disco Pigs“ - gar nicht erst versucht hat, Walsh düstere Schussfahrt durch den modernen Zivilisationsmüll textnah zu inszenieren. Mit der Machete ist Langhoff durchs Manuskript gepflügt, hat Ort, Zeit, und Musik neu fest gelegt, Szenen hinzugefügt und die ursprüngliche Geschichte bis aufs Skelett abgenagt, um schließlich das Resultat nun als deutsche Erstaufführung auf die schmale Bühne des Brauhauskellers zu bringen.

Klingt krude, ist krude, zerfällt in Laufe der 80-minütigen Spieldauer in eine lose Szenenfolge, die weniger von einem klaren Handlungsstrang als vielmehr von einer zumeist klaustrophobisch-gewalttätigen Atmosphäre zusammengehalten wird.

Lämmchen (Katja Zinsmeister) hat Geburtstag, der Vater ihres Babys Lep (Fritz Fenne), ihre Schwester Amanda (Susanne Schrader), deren Freund Steve (Thomas Ziesch) und die ihrem Namen alle Ehre machende Fett (Sylvia Buchbauer) haben sich auf dem großen weißen Sofa eingefunden.

Was folgt, ist ein Tag im Leben eines hoffnungslosen Quintetts auf der Suche nach dem nächsten Kick. Worin der bestehen kann, ist durchaus breit angelegt: eine Vergewaltigung, ein Mord, eine mächtige Portion Kokain in jeder denkbaren Körperöffnung, ein Nachmittag vor dem TV, ein Bad im fassweise ausgeschütteten Wohlstandsmüll.

In der Tradition der Brechtschen Verfremdungseffekte inszeniert Langhoff „Sucking Dublin“ als permanente Brechung der Wirklichkeitsebenen. Kein Seelenstrip, der nicht kurz darauf verspottet wird, keine im Verbalstakkato vorgetragene Systemkritik, die nicht schon bald ironisiert wird, keine tränenreiche Milieubeschreibung, die nicht im selben Moment als larmoyante Selbststilisierung der Verhöhnung anheim fällt. Mittendrin gar nimmt das Stück minutenlang eine Auszeit. Aus Amanda wird dann Susanne Schrader, Schauspielerin von Beruf, die auf der spartanisch eingerichteten Bühne mit ihren BerufskollegInnen über ihre Erfahrung als Teletubby-Darstellerin und den neuesten Szeneklatsch quatscht. Langhoffs Sorge, mit dem Walsh-Stoff in die Nähe einer wütend-neorealistischen Systemkritik à la Mark Ravenhills „Shoppen & Ficken“ zu geraten, scheint also groß. Beinahe ebenso groß wie seine Befürchtung, er könne es andererseits doch verpassen, den gesellschaftlichen Verhältnissen einen zeitgenössischen Tritt ins Gesäß zu geben. So changiert „Sucking Dublin“ einigermaßen unentschlossen zwischen Komödie, Farce und Sozialkritik, macht die mit enormer physischer Präsenz agierenden DarstellerInnen wechselweise zu Milieugeschädigten, Hanseln, Opfern, Tätern, Entertainern und Projektionsflächen für eine abgestandene Momentaufnahme, die sich weder den Verweis auf die Ossi-Wessi-Problematik noch die obligatorischen Seitenhiebe auf die TV-Verblödungsmaschinerie verkneifen kann.

Dass „Sucking Dublin“ dennoch einiges davon entfernt ist, ein Ärgernis zu sein, hat viele gute Gründe. Langhoff steht ein ausgezeichnetes SchauspielerInnen-Quintett zur Verfügung, denen in kurzen Momenten immer wieder darstellerische Glanzleistungen von großer Intensität gelingen. Die temporeiche Inszenierung hat Rhythmus, der durch das häufig wiederkehrende, gelungene Zusammenspiel von Bühnengeschehen und groovenden Musikeinspielungen noch unterstrichen wird.

Und im Schlussbild, der improvisierten Live-Interpretation eines kitschigen Popsongs, findet der Abend atmosphärisch gar zu einer Stimmigkeit, die zuvor allzu oft vermisst wurde.

Franco Zotta

Weitere Aufführungen: 14., 15., 24., 29. November, jeweils 20.30 Uhr im Brauhauskeller. Karten & Infos: Telefon 365 33 33