Die Zukunft des Auges

Vorwärts, auf zu neuen bewegten Bildern: Das British Council hat in diesem Jahr das Digitalfilmfestival „onedotzero“ von London nach Berlin geholt

von TOBIAS HERING

Wo entstehen Sehgewohnheiten? In der Kamera, im Kopf oder im Kino? Etwa in der Welt, im Blinzeln und Stolpern des Alltags? Sind Sehgewohnheiten nicht eine Sache des Auges? Darum geht es in allen Filmen beim Digitalfilmfestival „onedotzero“. Sie spielen und arbeiten mit den Sehgewohnheiten, verführen und verhöhnen sie, und wenn man lange genug hinschaut, verändern sie sich. Es geht aber auch um die sich verändernden Entstehungsbedingungen des bewegten Bildes. Jenseits traditioneller Genregrenzen definiert sich das Programm handwerklich über die Verwendung digitaler Techniken und Medien bei der Herstellung und Bearbeitung der Bilder: Desktop Filmmaking.

„onedotzero“ wurde 1996 in London initiiert, um Künstler zusammenzuführen und zu fördern, die mit digitalen Bildmedien arbeiten. Jedes Jahr wird aus Animationen, Musikvideos, Trickfilmen und Werbespots ein Programm zusammengestellt und auf Tournee geschickt. Im Rahmen des Veranstaltungszyklus „UK Art 2000“, mit dem das British Council jungen britischen Künstlern eine Plattform schaffen will, kommt das Festival nun nach Berlin.

Viele der meist nicht länger als fünfminütigen Arbeiten sind ein Crossover aus verschiedenen Bild- und Erzählstilen. Dennoch gruppieren sie sich lose in verschiedene Programmteile. Unter dem Titel „wow+flutter“ werden vor allem grafiklastige Arbeiten gezeigt von so unterschiedlichen Leuten wie dem Designer Andy Martin oder der Gruppe „Shynola“, die für die Visualisierung des musikalischen Crossover-Projekts UNKLE sorgte.

Einen Schwerpunkt auf Musikvideos und Kurzfilme legt das Programm „wavelength“. Hier zeigen etwa das französische Duo Alex + Martin oder die Gruppe „Intro“, wie sich in einer Mischung aus Suggestion und Schabernack verschiedene Stilmittel zu komplexen Stimmungsbildern verdichten lassen. Häufig werden klassische Erzählformen in ihre stereotypen Bilder zerlegt und zu neuen narrativen und nichtnarrativen Sequenzen zusammengefügt. Auffallend oft sind aber auch die erzählenden Überbleibsel der martialischen Bildsprache von Computerspielen entnommen.

Den Innovationen, die sich hier abzeichnen, ist unter dem Titel „lens flare“ ein weiterer Programmteil auf dem Festival gewidmet. Möglich, dass sich in diesen auf Interaktion hin designten Minidramen die Zukunft des Kinos erahnen lässt. Sie konterkarieren die komische Passivität, mit der man sich als Zuschauer abfindet – und erinnern an den ganz archaischen Wunsch, den Film nicht nur ablaufen zu sehen, sondern daran teilzunehmen.

Das heterogene Gemisch aus kommerziellen und nichtkommerziellen Arbeiten konzentriert den Blick ganz auf das Bild. Was die Synapsen daraus machen, ist eher Wirkung und Effekt als Inhalt und Bedeutung. Das Auge verhält sich als begeistertes Organ.

Was hier passiert, lässt sich jedoch keineswegs auf den Allgemeinplatz vom Aufbrechen der narrativen Strukturen reduzieren. Indem sich der Schwerpunkt der Arbeit am Bild von der Produktion auf die Postproduktion verlagert, verändern sich die Herstellungsbedingungen ebenso nachhaltig wie das Rezeptionsverhalten. Anarchisch ist nicht nur die Reizexplosion auf der Netzhaut, sondern auch die explosive Steigerung der Möglichkeiten, Filme zu machen und zu zeigen. Der vergleichsweise geringe materielle und technische Aufwand löst die Kreativität von marktstrategischen Zwängen.

Auch die Vertriebssysteme, die sich immer mächtiger zwischen die Herstellung von Filmen und ihr Herzeigen in den Kinos schieben, werden hier spielend umgangen. Anhand von vier Livepräsentationen zeigt das Festival „onedotzero“, was heute bereits möglich ist: visuelles DJing als Gleichzeitigkeit von Kreativität und Konsum.

Bis 18. November, im Central,Rosenthaler Straße 39, British Council, Hackescher Markt 1, und in der Staatsbank, Französische Straße 35.Programm unter www.onedotzero.com