: Schwule Schwäne im Eis
Die Alster-Schwäne haben die Homo-Ehe längst vollzogen. Gestern sind sie ins Eppendorfer Winter-Quartier gebracht worden ■ Von Gernot Knödler
Hamburgs Alsterschwäne sind rechte Großstadt-Viecher: Sie leben nicht nur in Normalfamilien zusammen, sondern auch in Kommunen, als schwule Paare, Alleinerziehende und in Dreiecksbeziehungen. Gestern haben sie ihre Sommerresidenzen auf der Alster und in den Kanälen verlassen müssen. Schwanenvater Olaf Nieß fing die 130 Exemplare wie jeden Herbst vor der Rathausschleuse ein und transportierte sie zum Eppen-dorfer Mühlenteich, wo sie den Winter verbringen werden.
Auch dieser Zwangsumzug ist dem Leben in der Großstadt geschuldet, wie Harald Nieß, der Vater von Olaf und selbst 46 Jahre lang Schwanenvater, in seinem Buch über „Hamburgs Alsterschwäne“ berichtet. Wenn es starken Frost gibt, könnten die Schwäne wohl mit einigem Aufwand selbst Wasserlöcher in der Eisde-cke frei halten.
Allzuoft werden sie allerdings von Menschen und freilaufenden Hunden vertrieben. Finden sie kein anderes Loch im Eis, verhungern die Tiere. Auf dem Mühlenteich dagegen sind sie geschützt. Dort brummt eine Pumpe, die das Wasser wie eine Quelle in Bewegung hält und die Eisbildung auf mehreren Hundert Quadratmetern verhindert.
Spätestens seit dem 17. Jahrhundert hat sich der Senat gezielt um die Alsterschwäne gekümmert. Bereits in einem Sitzungsprotokoll von 1674 wird ein Aufseher für die Vögel gefordert, der darauf Acht geben sollte, dass die Nester „nicht von bösen Buben gestört“ würden.
Dem Senat war das so wichtig, weil Schwäne zu halten im Mittelalter als Privileg von Grafen, Herzögen und Königen galt. Als sich Hamburg im 15. Jahrhundert zu einer unabhängigen Stadt entwickelte, nahm die Bürgerschaft dieses Recht für sich selbst in Anspruch. Seither gelten die stolzen Vögel als Symbol für die Freiheit.
Vielleicht liegt es daran, dass der Senat menschliche Verhaltensweisen bei seinen gefiederten Schutzbefohlenen toleriert. Wie Nieß berichtet, tun sich unter den Schwänen immer wieder Männchen zu Paaren zusammen. Sie haben Sex miteinander und bauen Nester. Lediglich mit der Aufzucht von Jungen hapert es. Nieß' Versuche, die Männer Eier ausbrüten zu lassen, misslangen aufgrund des fehlenden Knowhows der Kerle.
In einem Fall entschied sich einer der schwulen Partner im nächs-ten Jahr für ein Weibchen. Sie gründeten eine Familie, wobei der Ex-Freund stets dabei blieb und mithalf, das Revier und die Jungen zu verteidigen – allerdings zeigte er kein Interesse an dem Weibchen.
In den 50er Jahren taten sich gleich acht Schwanenpaare zu einer Kommune (die Ornithologen sagen „Kolonie“) zusammen, indem sie auf engem Raum brüteten. Einem neidischen alten Nachbarschwan war das zu bunt. Er biss die Männchen zusammen und sprengte die Kommune.
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