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: WLADIMIR KAMINER über Leitfiguren

Auf dem Klo

Martin Stankowski, ein WDR-Korrespondent, erzählte mir neulich in Frankfurt am Main von seiner Forschung über „Schräge Orte“ und „Starke Plätze in Nordrhein-Westfalen“. In Köln entdeckte er z. B. ein muslimisches Hockklo, gleich am Roncalliplatz, hinter dem Dom – in der Männerabteilung der gerade von Türken gepachteten öffentlichen Toilette ist es hinter der letzten Tür links.

Der alte Herr, der auf diese Einrichtung aufpasst, lässt nicht jeden rein, er hält die Tür stets verschlossen: „Damit die Ausländer es nicht beschmutzen“, erklärte er dem Journalisten. Für die Touristenmassen, die aus dem Kölner Dom strömen und auf das muslimische Hockklo wollen, mag es vielleicht als eine multikulturelle Sehenswürdigkeit taugen, mich ließ es dagegen kalt.

Bei uns in Russland mutierten schon vor einer Ewigkeit alle sanitären Einrichtungen zu Hockklos – die Schüsseln wurden so unappetitlich, dass keiner sich mehr draufsetzte. Alle hockten wie einsame Adler über ihren Schüsseln.

Auch die freie Marktwirtschaft hat die Toiletten in Russland nicht sauberer gemacht, dafür kann man aber jetzt fast überall auf dem Klo Radio hören. Die Toilettenprogramme bestehen zum größten Teil aus Werbespots, die ab und zu von kurzen musikalischen Fragmenten unterbrochen werden. Diese neue Werbestrategie funktioniert anscheinend ganz gut, weil man in Russland traditionell lange auf dem Klo hockt und die Lautsprecher nicht auszuschalten sind. Sie werden von einer Toilettenradiozentrale fernbedient. Viele finden es auch cool.

Meine Tante z. B., die vor kurzem zwei Monate in Moskau verbrachte, war von der Idee so begeistert, dass sie sich sofort, als sie wieder in Berlin war, beim Otto Versand einen Toilettenpapierhalter mit eingebautem Radioempfänger der Firma Tissue bestellte. Das Gerät schaltet sich automatisch an, wenn das Licht im Badezimmer angeht. Dadurch ist meine Tante inzwischen zum bestinformierten Mitglied unserer Familie geworden. Als ich sie neulich in Kreuzberg besuchte, lief gerade „Der runde Tisch zum Thema ‚Deutsche nationale Kultur im Kampf gegen die multikulturelle Gesellschaft‘ “ auf dem Klo. Die Stimmen von Politikern und Soziologen füllten das gut beheizte Badezimmer mit immer neuen Argumenten für und gegen die Leitwerte der deutschen Nationalkultur. Ich zog ein großes Stück Toilettenpapier aus dem Rundfunkempfänger und überlegte, was das eigentlich ist. Wie schafft man es, genug Konservatismus für ein nationalkulturelles Leitbild zusammenzukratzen und nicht gleichzeitig auf der Welt unangenehm als Nazikultur aufzufallen?

Angesichts dieser extrem schwierigen Aufgabe würden sich meine Frau und ich als Leitfiguren der deutschen nationalen Kultur geradezu anbieten. Wir führen ein ziemlich spießbürgerliches Leben, haben aber gleichzeitig für jeden Mist Verständnis. Meine Frau ist Mitglied des Elternrats im Kindergarten, ich zahle Steuern und werde von vielen deutschen Autogrammsammlern als Person des öffentlichen Lebens angehauen. Unsere ganze Familie ist für absolute Stille nach 23 Uhr, unter Umständen sogar noch früher. Außerdem essen wir gerne Würstchen und kucken regelmäßig die „Harald Schmidt Show“. Gut, wir trinken kein Bier, aber auch die Sonne hat Flecken. Ich wäre sogar bereit, ab und zu mal ein paar Gläschen Schultheiss zu kippen, wenn ich tatsächlich als Leitwürstchen der deutschen nationalen Kultur offiziell anerkannt werden würde.