Mister Gauner

Floridas Wahlstreit landet vor Gericht. Sollte man den Bundesstaat nicht einfach weglassen?

aus Washington PETER TAUTFEST

„I trust the people“ war einer der Slogans, der von Bush gegen Ende des Wahlkampfs ständig wiederholt wurde. „Ich vertraue auf das Volk, während Gore eher auf die Weisheit von Regierungen vertraut.“ „Trust the People“ stand am Wochenende auf einem Plakat einer Demonstrantin in Atlanta (Georgia), wo etwa 300 Menschen zusammenkamen, um gegen ein vorschnelles Ende der Stimmenauszählung in Florida zu protestieren.

Das Lager George W. Bushs, das die Bundesregierung am liebsten aus allen Angelegenheiten der Bundesstaaten heraushalten will, hatte Al Gore angegriffen, weil Wähler und Wahlkampfhelfer der Demokraten wegen der unübersichtlichen, nach den Gesetzen Floridas rechtswidrigen Stimmzettel im Landkreis Palm Beach Wahl- und Bezirksrichter angerufen hatten. Nun haben die Republikaner selbst ein Bundesgericht angerufen, um die Auszählung von Hand in einigen Landkreisen zu verhindern. Die Verhandlung fand gestern vor einem Bundesrichter in Florida statt. Unabhängig von dem Ausgang hat das Bush-Team, vertreten durch den früheren Außenminister Baker, angekündigt, den Instanzenweg bis nach oben zu gehen, denselben Instanzenweg, den die Klagen um die Herausgabe Elián Gonzales’ nahmen. Gleichzeitig kündigten Bushs Parteigänger an, auch in anderen Bezirken Floridas und in Staaten, in denen Gore knapp vorne lag, Neuauszählungen zu beantragen.

Die Zeit dafür könnte knapp werden, weil Anträge auf Nachzählung je nach Bundesstaat an Fristen gebunden sind, die auszulaufen beginnen. Mit dem Gerichtsverfahren scheint sich das Bush-Lager in eine prekäre Lage manövriert zu haben, zumal es Auszählungen von Hand waren, die das Wahlergebnis in New Mexico umgekehrt haben, einem Staat, der erst an Gore ging und wo Bush jetzt mit 4 Stimmen (nach einer anderen Zählung sind es 17) Vorsprung in Führung liegt – einige Stimmen müssen aber noch ausgezählt werden.

Inzwischen werden Szenarien debattiert, nach denen die Präsidentschaftswahl am 18. Dezember im Wahlmännergremium auch ganz ohne die umstrittenen Wahlmänner Floridas vollzogen werden könnte, in welchem Fall Gore eine absolute Mehrheit hätte. Vorbild wäre die Wahlentscheidung aus dem Jahre 1876, als der Gouverneur von New York, Samuel Tilden, vor dem Gouverneur von Ohio, B. Rutherford Hayes, gewann, aber bei den Wahlmännern keine Mehrheit bekam. Auch damals spielte Florida eine entscheidende Rolle.

Nach Zählung der Republikaner hatte Hayes in Florida damals einen Vorsprung von 922 der 47.000 abgegebenen Stimmen, nach der der Demokraten lag Tilden mit 94 Stimmen vorn. Zur Lösung des Problems wurde ein paritätisch besetztes Gremium aus Abgeordneten und Richtern des Obersten Gerichts geschaffen, das Hayes im März des nächsten Jahres die Präsidentschaft zusprach. Der Mann galt während der Dauer seiner Amtszeit als „Mister Fraudulency“ – Herr Gauner.

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