„Zwei Stränge eines Seils“

„Alles, was jetzt gegen die Erwärmung unternommen wird, wird erst in fünfzig bis hundert Jahren wirksam“

Interview: MAIKE RADEMAKER

taz: Naturkatastrophen werden auch von Klimaforschern als Boten der Klimaveränderung gedeutet. Wir leben also bereits im Klimawandel. In Den Haag wird aber bisher nur die Vermeidung der Klimaveränderung diskutiert. Muss nicht mehr getan werden?

Martin Parry: Es gibt zwei Antworten auf die Klimaveränderung. Die eine ist die so genannte „Milderung“, ein Begriff, der benutzt wird, wenn es um die Reduzierung von Emissionen geht, um Klimaveränderungen zu mindern. Die andere Antwort ist Anpassung an den Klimawechsel, entweder vor, während oder nach der Veränderung. Das könnte heißen, dass andere Pflanzen in der Landwirtschaft angebaut werden. Mit der Erwärmung erwarten die Klimaforscher vor allem, dass sich die Verfügbarkeit von Wasser in allen Regionen verändert: Manche werden mehr, andere weniger Wasser haben. Also müssen wir lernen, anders mit Wasser umzugehen. Anpassung heißt auch, die Gesundheitsvorsorge zu überdenken. In manchen Ländern könnte es zum Beispiel mehr Malaria geben. Anpassung an eine Klimaveränderung bedeutet Verhaltensanpassung bei allen Aktivitäten.

Ist also Anpassung nicht das wichtigere Thema angesichts der drohenden Veränderungen?

Es wird immer wichtiger. Anpassung stand bisher nicht im Zentrum der Verhandlungen, weil alle mit der Milderung beschäftigt waren. Wir haben immer wieder argumentiert, dass auch in diesem Bereich internationale Übereinkünfte getroffen werden müssen. Wir hoffen, dass unsere Appelle gehört werden. Man muss sich zum Beispiel einigen, wie den von einer Erwärmung besonders betroffenen Länder geholfen werden kann, durch den Transfer von Technologie und anderen Ressourcen.

Entwicklungsländer werden nicht die einzigen sein, die die Folgen zu spüren bekommen. Was ist mit uns, mit Europa?

International renommierte Klimaforscher aus ganz Europa haben vor zwei Wochen einen Bericht vorgelegt über die Folgen der Klimaveränderung für Europa und mögliche Reaktionen darauf. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass Europa zwar eine hohe Anpassungsfähigkeit hat, aber dass entsprechende politische Reaktionen in diesem Rahmen nicht ausreichend entwickelt wurden. Dasselbe gilt für die USA. Es müssen politische Vorgaben entwickelt werden. Auf der Ebene der EU hieße das, über die Agrarpolitik, über Fischereipolitik, über Finanzfonds und Regionalpolitik nachzudenken. Klimaveränderungen müssen in politische Überlegungen mit einbezogen werden.

Ist denn ausreichend erforscht, was zu tun ist?

Das ist weniger eine Frage der Forschung. Es geht eher darum, sich die jeweilige Politik anzusehen und sich zu fragen: Müssen wir etwas ändern? Zum Beispiel die gemeinsame Agrarpolitik der EU: Sie tendiert dazu, die derzeitige Form der Landwirtschaft in starre Formen zu pressen. Was wir aber stattdessen tun sollten, ist die Anpassungsfähigkeit zu fördern. Tatsache ist, wir haben eine landwirtschaftliche Überproduktion im Nordwesten Europas und im Südosten gibt es Probleme, überhaupt landwirtschaftliches Einkommen zu erhalten. Nun wird voraussichtlich der Klimawechsel die Trockenheit im Süden erhöhen und die Einkommen noch mehr drücken, gleichzeitig kann sich die Möglichkeit zur Produktion im Norden erhöhen. Wollen wir das? Die Politik muss entscheiden, ob sie zum Beispiel die Überproduktion im Norden bekämpft und sich für den Erhalt der Landwirtschaft im Süden einsetzt. Solche Überlegungen müssen in vielen Bereichen angestellt werden.

Sind die Politiker auf diese Aufgabe vorbereitet, wird bereits daran gefeilt?

Nein, meines Wissens nicht. Bisher haben sich Politiker weder auf EU-Ebene noch in den nationalen Regierungen wirklich sorgfältig mit der notwendigen Anpassung auseinander gesetzt. Weder in Fragen der Wasserversorgung, die besonders wichtig ist, noch bei der Landwirtschaft. Wir empfehlen das als einen wichtigen nächsten Schritt.

Bereitet sich denn die Wirtschaft darauf vor?

Es gibt manche Wirtschaftsbereiche, die sich bereits auf Klimaveränderungen einstellen. Darunter ist die Versicherungswirtschaft, weil die Erwärmung und ihre Folgen ihre finanzielle Substanz in Frage stellt. Ich bin nicht sicher, ob es stimmt, dass die Saatgutunternehmen sich bereits vorbereiten – das ist vielleicht noch Zukunftsmusik. Wir wissen auch nicht, inwieweit die Wasserversorger es tun – aber wir empfehlen der Wirtschaft, sich vorzubereiten.

Ist es nicht zynisch, jetzt schon von Anpassung zu reden? Politiker könnten sagen, wenn die Anpassung möglich ist, müssen wir nichts mehr gegen die Klimaveränderung tun.

Ich glaube nicht, dass es einen Konflikt zwischen Vermeidungs- und Anpassungsstrategien gibt. Das sind, wie wir in England sagen, zwei Stränge eines Seils, oder zwei sich ergänzende Instrumente. Das heißt, wir müssen die größten Bemühungen anstrengen, damit die Klimaveränderung bekämpft wird, so wie es das Kioto-Protokoll vorsieht. Und gleichzeitig müssen wir unsere Widerstandsfähigkeit erhöhen durch eine Anpassung an Klimaveränderungen. Selbst wenn man sich, nur mal angenommen, in Den Haag einigt, alles nur Erdenkliche zu tun gegen die Klimaveränderung, und das alles auch sofort umgesetzt wird, ist das nur ein Fünfzehntel dessen, was notwendig ist.

Wieso – bis jetzt sind die Folgen doch immer noch mit einem Fragezeichen versehen?

Wir müssen, sowohl bei den Vermeidungsstrategien als auch bei den spürbaren Folgen eine starke Zeitverzögerung mit einbeziehen. Alles, was jetzt gegen die Erwärmung unternommen wird, wird erst in fünfzig bis hundert Jahren Wirkung zeigen. Und die Erwärmung mit ihren Folgen wird uns voraussichtlich auch erst langsam erreichen. Diese Zeitverzögerung ist in dem Klimasystem selbst angelegt.

Also bräuchten wir jetzt noch zusätzliche Konferenzen darüber, welche Anpassungsmaßnahmen notwendig sind, wann damit begonnen werden soll, wer das finanziert?

Nein, dafür brauchen wir keine zusätzliche Konferenz, ich bin nicht dafür, dass das von dem gegenwärtigen Verhandlungsprozess getrennt werden soll. Schließlich ist die Anpassung ja auch in Artikeln des Kioto-Protokolls festgelegt. Dort steht, dass über Anpassung verhandelt werden muss, vor allem für die empfindlichen Gebiete im Süden.