: Sportlicher Exorzismus
■ Dringlichkeit, Jazz-Wissen und selbst-disziplinatorische Härte: Dillinger Escape Plan und Botch lärmen im Hafenklang
Diese Musik macht man nicht einfach so an. Du tust sie anders ins CD-Gerät, zögernd, unsicher – oder eben ganz genau und zielstrebig. Du spürst die Anspannung. Nicht nur das Fleisch ist schwach, auch die Übertragungswege werden auf die Prüfung gestellt. Dicht, dichter, Dillinger. Muskeln, Startschuss, Raserei... Sportmetaphern, weichet von mir. Sicher: diese Musik ist sehr sportlich, doch es geht um etwas anderes – um das, was die US-Mainstreamrocker Foreigner mit „Urgent“ meinten. Diese knapp 20 Jahre alte Vorstellung von Dringlichkeit wirkt allerdings gegen den hier präsenten Furor wie ein Kettenkarussell mit Hans-Albers-Musik im Vergleich mit einer dieser zuckenden neumodischen Stop&Go-Fahrwerke die durch 160-BpM-Techno zusätzlich hys-terisiert werden. Und wieder sind wir auf der falschen Fährte: Techno – Maschine.
Perfektion ist zwar ein Thema für diese adretten jungen Ostküs-tler, jedoch nicht in gradliniger Malen-nach-Zahlen-Version. Ihr Geis-tesverwandter im Bereich der elektronischen Musik heißt Aphex Twin, von dem sie auf einer aktuellen Vinyl-Single ein Stück interpretiert haben. Die an sich schon äußerst ungewöhnliche Umkehrung – Rockband covert Techno – macht hier absolut Sinn. Hier wie dort geht es um Verdichtungen in Sound und Struktur, deren handgespieltes Moment für zusätzliche selbst-disziplinatorische Härte und Katharsis sorgt. Hier wie dort geht es aber auch um Musik als Träger ebenso extremer wie unaussprechlicher Gefühle in all ihrer Sprunghaftigkeit, was auf der Oberfläche zu den sattsam bekannten hunderttausend Breaks führt. Wie im sich zur Hälfte aus Hardcore speisenden neuen Metal üblich, wird auch hier nicht durchgeknüppelt, sondern immer wieder kurz verharrt oder einer Lust auf den kunstvollen Basslauf nachgegeben. Während dies allerdings bei der Mehrzahl der Bands auch schon wieder zum formelhaften Klischee verkommen ist, ist bei Dillinger ein ganz eigener Exorzismus und das Wissen um Jazz in seiner freiesten und expressivsten Form beständig zu spüren.
Was das live heißt, kann nur gemutmaßt werden. Wie dem Tourplan der Band zu entnehmen ist, spielt sie seit zwei Jahren mehr oder weniger ununterbrochen in allen Hardcore-Kellern dies- und jenseits des Atlantiks und scheint dabei erstaunlicherweise nicht an Energie zu verlieren. „Der Zweck unserer Auftritte ist pure Anarchie, einfach loslassen“, sagt Gitarrist Benjamin Weinman. „Eine Performance dieses Quintetts ist eine Übung in Konfrontation und brutaler Energie“ schreibt das Fachblatt Terrorizer. Daß dies nicht im Vergleich zu Foreigner gemeint ist, kann – nach vorheriger Vergewisserung der eigenen Verfassung – vorort nachvollzogen werden.
Holger In't Veld
Mittwoch, 21 Uhr, Hafenklang, supp.: Botch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen