Musikalische Platzwunden

Napalm Death, Nasum und die Ungleichzeitigkeit des Grindcore  ■ Von Oliver Rohlf

Da haben sich Napalm Death mal was Neues ausgedacht: Die wahrscheinlich größte Polit-Grindcore-Band der Welt deklariert sich auf ihrem neuen Album als Enemy Of The Music Business. „Nostalgia rules!“, möchte man da ausrufen. Das gute alte Feindbild „Musik-Geschäft“, es lebe hoch! Nicht, dass es nicht der Wahrheit entspräche, dass allein die geschäftliche Seite vielen Bands die Lust an der Musik rauben und manchmal den existentiellen Garaus bereiten könnte. All das steht außer Frage, der relevante Punkt allerdings ist, zu sehen, wer sich wann und warum an diesem thematischen Steinbruch vehement und schonungslos abarbeitet.

Bei Napalm Death artikuliert sich ein Großteil des Selbstverständnisses über die szene-tradierte Feindverortung in den drei großen Ismen Faschismus, Sexismus, Kapitalismus. Demnach kommt der böse Mann mit dem Dollar-Zeichen in den Augen gleich hinter Adolf Hitler und der aktuellen Plakat-Kam-pagne des Unterwäscheherstellers Palmers. Ein altgedienter Hut, zugegeben. Musikhistorisch gesehen, und das ist die große Leistung von Napalm Death, lauert hinter dem Musik-Quintett jenseits der 30 ein personifizierter Haufen Geschichte. Eine Band nämlich, die sich Anfang der 80er zusammentat, um wie kaum eine andere unter dem Namen der grausamen C-Waffen-Bombardements im Vietnamkrieg die Musikwelt zusammenzustauchen und dem herkömmlichen Rocksong das Prinzip der sekundenkurzen Raserei vor den Latz zu knallen.

Grindcore, so der Stil-Name dieser musikalischen Platzwunden, war gleichermaßen kalkulierter Brülleffekt wie antikommerzielles Statement wie die vertonte Abkehr von der testikel-trainierten Rockpose. Und nicht nur das: Napalm Death waren die personelle Brut- und Schnittstelle für die wichtigen Bands der britischen Death Metal- und Grindcore-Szene der Früh-90er: Bei den Noise-Pionieren kreuzten sich die Wege der Lager von Godflesh, Carcass, Cathedral, Unseen Terror, Terrorizer, Scorn, Righteous Pigs, Defecation oder Benediction. Die ehemaligen Hausbesetzer aus Birmingham wurden in einem Atemzug genannt mit Morbid Angel, Bolt Thrower und der gesamten schwedischen Death-Metal-Szene.

Aber all die großen Verdienste dieses großen und vor allem lauten Mutterschiffes liegen nun gute zehn Jahre zurück, der Hype ist längst vorbei, und seitdem lamentiert die Fachwelt bei jedem neuen Napalm Death-Album, ob die Band nun weiterhin guten Oldschool-Grind machen oder sich in flexiblere Gefilde trauen soll. Bei Enemy of the Music Business sind sich die meisten insofern einig, dass es dort rumpelt und donnert wie in seligen Zeiten. Besser als die großen Werke wie Scum oder From Enslavement to Obliteration klingt das allerdings nicht, und darin liegt die Krux der Band: Napalm Death können malochen wie doof, aber begeistern, das tun andere.

Denn dass so eine Schaffens-Misere mehr an der einzelnen Band als am Sound-Limit der ganzen Grindcore-Klangwelt liegt, beweist der größenteils unbekannte, aber hinreißend konsequente Werdegang der schwedischen Hyper-Grinder von Nasum. Die wurden vor acht Jahren als Side-Projekt der semi-berühmten Todes-Metaller Necrony gegründet und wollten damals, so will es die Legende, exakt so klingen wie Napalm Death zu Beginn ihrer Karriere. Es folgte ein Deal mit dem sagenhaften Poserslaughter-Label aus Ostdeutschland inklusive rarer Split-Veröffentlichungen mit famosen Genre-Größen. Mittlerweile besticht die Band im klas-sischen Trio-Format, sieht auf den Promofotos drein wie eine Trias des Banalen und hat mit Human 2.0 ein Album veröffentlicht, das getrost als das beste Grindcore-Oeuvre seit den seligen Assück durchgeht. Zukunft schreibt sich hier mit „N“, Feinde werden weder gemacht noch gebraucht.

+ Brutal Deluxe, Dienstag, 21 Uhr, Markthalle