Verfehlte Erregung

Wie lange kann man in einer Retourkutsche fahren?„Baise-moi“, dem als vermeintliche Pornografie berühmt gewordenen Film von Virginie Despentes und Coralie Trinh Thi, geht es um die Sexualpolitik

von GERTRUD KOCH

Das schien sich ja gut zu treffen: Im Sommer wird die Aufführung des Films in Frankreich durch den Conseil d’état verhindert, der ihn als pornografisch einstuft und damit auf den Antrag einer rechtsradikalen Gruppe hin ein indirektes Aufführungsverbot erteilt. Da in Frankreich die Bestimmungen des Jugendschutzes lediglich mit einer Freigabe ab 16 Jahren (und nicht mit 18, dem Alter der Volljährigkeit) operieren, soll auf diesem Wege der Zensur die Gruppe der 16- bis 18-Jährigen geschützt werden. Auf diese Absurdität der französischen Rechtsprechung und ihrer instrumentellen Ausnutzung durch die Rechten haben sich die Proteste bezogen, die in Frankreich „Baise-moi“ über Nacht zu einem Kultfilm machten. Die Argumente sind in der Tat hanebüchen, und diesem Protest konnte man sich anschließen, ohne lange über den Film nachdenken zu müssen, der in anderen Ländern ohne Probleme vorgeführt werden konnte. Es ist auch nur auf den ersten Blick ein Widerspruch, dass ein Film, der die Entgrenzung des Rechts durch den Gesetzesbruch als Akt subjektiver Freiheit feiert, selbst Rechte fordert und einklagt. Es gehört zur besonders geschützten Freiheit der Kunst, dass sie nicht verboten werden kann. Die Eiertänze der Umetikettierung zur Pornografie sind in fast allen Schritten ihrer Choreografie, vom Auftritt des Chors der empörten Bürger bis zum filigranen Pas de Deux von Recht und Moral, immer wieder aufgeführt worden. Die Inszenierungen haben sich dabei in den Jahren der Veralltäglichung des Pornografischen auf neue Rollenbesetzungen stützen müssen, um die rechtliche und moralische Skandalisierung des Pornografischen aufführen zu können. Kinder und Sadisten sind die neuen Protagonisten dieses zirkulären Spektakels, an denen die doppelte Funktion des Gesetzes als Recht auf etwas (etwa Unversehrtheit, freie Kunstausübung etc.) und als Verbot von etwas (zum Beispiel die Rechte anderer zu behindern, verletzen etc.) zur Geltung gebracht werden soll.

Aus dieser Konstellation heraus haben sich an „Baise-moi“ erneut Debatten darüber entzündet, was Pornografie sei, was Gewaltpornografie sei und wo die Grenzen des Gesetzes enden oder beginnen. Bei näherer Betrachtung des Films allerdings scheinen diese aufgestachelten Debatten recht artifiziell. Pornografie ist „Baise-moi“ nur auf der abstrakt-formalen Ebene, dass in ihm vor der Kamera vollzogene sexuelle Akte vorkommen – allerdings fehlt die funktionale Ebene, die zur Pornografie hinzukommt, die Intention nämlich, durch das Dargestellte das Publikum sexuell zu erregen. In diesem letzteren Sinne ist „Baise-moi“ nicht pornografisch, sondern in einem ziemlich dumpfen Sinne allenfalls naturalistisch. Dass die Regisseurinnen annehmen, es sei gerade der unverstellte Naturalismus, im Sinne von: wir zeigen, wie es dort draußen hinter der Leinwand wirklich zugeht, indem wir es genauso vor der Kamera inszenieren, macht die Sache nicht gerade viel versprechend.

Nun könnte man den zur Schau getragenen Naturalismus für naiv im wörtlichen Sinne halten, wäre die Naivität dieser unmittelbar hervorgebrachten schummrigen Videobilder nicht längst stilistische Codierung. Die zur Monochromie einer bräunlichen Patinierung ausgelaufenen Videobilder, die den Raum zufällig heraushackenden fahrigen Kamerabewegungen, die fast monotone Musik, die den Film begleitet und streckenweise seinen ästhetisch interessanteren Teil ausmacht, das alles ist nicht so neu und gerade erst von der Straße geholt, wie es gerne sein möchte.

Neben dem juristischen Paratext, „was verboten ist, muss scharf sein“, an dessen Abfassung die Regisseurinnen nur bedingt beteiligt sind, gibt es aber auch noch die Bücher der Regisseurin und die Geschichten, die über die Darstellerinnen erzählt werden. Ganz im Stile der Künstlerlegenden werden die beiden im Kontext kathartischer Läuterung eingeführt: Gerade hatten sie beschlossen, keine Pornofilme mehr zu drehen, werden sie wieder zu pornografischen Einlagen benötigt, diesmal im Dienste der sexualpolitischen Offensive des radikalen Feminismus, dem sich die Regisseurinnen zurechnen.

Nehmen wir also die Leseanleitung dieses Hinweises ernst: Wir sehen ein Roadmovie von zwei Frauen, die am Rande der Vorstädte im Milieu der kleinen Dealer und Kriminellen sich bewegen. Dieses Milieu bietet wenig Möglichkeiten. Die Liebe wird enttäuscht, die sexuellen Beziehungen sind kommerzialisiert oder von Machthierarchien einseitig verzerrt. Nach einer Gruppenvergewaltigung brechen die Beiden aus, ungeplant und eruptiv. Erst werden die ihnen Nächsten erschlagen, dann ziehen sie auf und davon, begehen wahllos Raub- und Sexualmorde, bis sie am Ende gestellt werden und zu Tode kommen. So weit in dürren Worten die Handlung. Der Stil bleibt ganz auf der bereits beschriebenen Ebene des authentischen Homemovie. Die sexuellen Akte sind als Hardcore dargestellt, wobei die Montagen von Detail- und Ganzkörpereinstellungen weitgehend zurückgenommen sind auf relativ statische Gruppeneinstellungen. Die Tötungen sind dagegen mit den üblichen Schnitten und Perspektivwechseln, mit Großaufnahmen und Details aufgenommen. So könnte man sagen, dass es tatsächlich eine Deeskalierung des Pornografischen gibt, das sich dem Zuschauer keineswegs aufdrängt, während die Eskalation in der explosiven Gewaltausübung liegt.

Als Film möchte „Baise-moi“ die These bestätigen, dass Sexualität als Machtausübung aufzufassen ist. So wollen die beiden Frauen gerade an den Orten ihre Macht demonstrieren, an denen Sexualität frei getauscht wird, im Swingerclub. Zu den merkwürdigsten Einstellungen gehört das Eindringen der beiden Frauen in einen solchen Club. Was dort vor sich geht, versetzt sie in einen erregenden Blutrausch. Während ihrer Tötungsorgie zwingen sie einen Mann, auf allen vieren vor ihnen zu winseln und zu hecheln, der Waffenlauf zielt dabei auf seinen Anus, in den schließlich abgefeuert wird. Dieses Bild ist die Wiederkehr der Vergewaltigung am Anfang, in der die eine Frau ebenfalls auf allen vieren von hinten penetriert wird und dies stoisch über sich ergehen lässt, so dass sich ihr Vergewaltiger, um seine sadistische Lust gebracht, wütend von ihr abwendet. Dies ist eine der wenigen Einstellungen, in denen der Film ein eigenes Bild für eine Lust findet, die zu empfinden seine Protagonistinnen uns versichern, ohne dass es plausibel würde. Es ist dies ein Bild extrem sadistischer Gewaltlust, das im Kontext des Films als eine verschobene Antwort auf die erste Szene auftaucht: auf den Ort der Lust, der sich als ein Zusammenspiel von Phantasie und körperlicher Interaktion zeigt. Das Bild des Anus als Zielscheibe verkörpert, und darin ist es tatsächlich ein Äquivalent zum sadistischen Angriff, der sich auf die Vagina der Frau richtet, eine ungeschützte Körperöffnung, die sich sowohl mit den frühesten Körpererfahrungen als Muskelkontrolle verbindet wie auch mit Sexualpraktiken, die sich von den traditionellen, biologischen Geschlechtsrollen lösen. Die fantasielose Frage, ob Frauen Männer vergewaltigen und gewaltsam penetrieren können, erübrigt sich hier. Der Anus wird zum gefrorenen Bild einer Männlichkeit, die nicht in der Kastrationsdrohung ihre negative phallische Bestätigung findet, sondern in jene Passivität verbracht wird, die die masochistische Position im Blick des Sadisten ist. Die Retourkutsche, in der der Film seine Protagonistinnen auf die Reise schickt, kommt hier an ihr logisches, wenn auch nicht finales Ende.

Eine Retourkutsche kann niemals eine Flucht ermöglichen, ihr Weg endet da, wo er begann: hier also bei der Exaltation sadistischer Lust im Anblick passiven Fleisches, dem der letzte eigene Wille zerschlagen wird. Der Entwurf einer Sexualität, in der die biologischen Geschlechter sich verkehren, mag ja eine rebellische Umbesetzung von Macht sein, im Kern aber bleibt sie doch dem antiken Verdikt verhaftet, das Penetration in allen denkbaren Formen als Erniedrigung verstand, die nur hierarchisch gedacht werden kann. Ein Verdikt, das in der Antike auch die homosexuellen Praktiken unter ihren Teilnehmern regelte.

„Baise-moi“ ist also kein pornografischer Film, der die Lust aus der Ungleichheit gewinnt, sondern ein sexualpolitischer, der sich in den Glanz der Macht, gegen die er rebelliert, verliebt hat. Das schrille Auflachen im Blutrausch, die nervöse Spannung, die in körperliche Zerstörung mündet, werden von den beiden Darstellerinnen übrigens vorzüglich gespielt. Wenn es etwas in diesem Film zu entdecken gibt, dann sind es diese beiden Schauspielerinnen.

Dennoch scheitert dieser Film auf vielen Ebenen: Weder ist er eine interessante Kritik an der Pornografie, noch ist er auf eine interessante Weise pornografisch. Weder radikalisiert er die verherrlichte Gewalt zu einer Ästhetik des Bösen, noch mutet er sich einen Diskurs über die Optionen und Grenzen der Selbstverwirklichung zu. Radikale Verfehlung übt dieser Film nur gegen sich selbst aus.

„Baise-moi“, Buch und Regie: Virginie Despentes, Coralie Trinh Thi; mit Raffaëla Anderson, Karen Bach, Delphine McCarty u.a., F 2000, 77 Min.