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„An der Grundintention sollte festgehalten werden“

Reinhard Rürup, Mitglied der achtköpfigen Historikerkommission, kritisiert an der Wehrmachtsausstellung, sie suggeriere, dass jeder Wehrmachtssoldat Verbrechen verübt hat

Herr Rürup, haben Sie den Eindruck, dass die unzureichende Beschäftigung mit der Sowjetunion der Stalin-Ära auch dafür verantwortlich ist, dass einige der Fotos, die Opfer des NKWD zeigen, in der Wehrmachtsausstellung auf das Konto der Deutschen gebucht wurden?

Reinhard Rürup: Das stimmt. Aber hier liegt ein Problem der deutschen Geschichtswissenschaft nach dem Krieg. Viele von uns haben sich in erster Linie für die NS-Zeit interessiert. Es gab eine Hierarchisierung bei den bevorzugten Forschungsgegenständen. Für einen Historiker wie den Ausstellungskritiker Bogdan Musial hingegen ist eine solche Hierarchisierung ganz unverständlich.

Haben Sie beim ersten Besuch der Wehrmachtsausstellung einen konkreten Verdacht gehabt, die Zuordnung einiger der Fotos könnte nicht stimmen?

Nein. Ich bin allerdings auch kein Experte auf diesem Gebiet.

Was heißt für Sie Neugestaltung der Ausstellung, von der in den Empfehlungen der Kommission gesprochen wird?

An der Grundintention der Ausstellung, den Vernichtungkrieg zu zeigen, in den die Wehrmacht nicht nur am Rande involviert war, sollte festgehalten werden. Allerdings sollte alles in Foto und Kommentar überarbeitet werden, was auf die Überwältigung des Publikums abzielt.

Was meinen Sie damit?

Vor allem in dem „Eisernes Kreuz“ betitelten Teil der Ausstellung werden wir mit dem Anblick von Gräueltaten überhäuft. Es wird suggeriert, die Wehrmacht als Ganze habe Verbrechen verübt, jeder Soldat.

Wie würden Sie Ihre eigene Ausstellung zum Russlandfeldzug, die Sie zu Anfang der Neunzigerjahre im Rahmen der Ausstellung „Topographie des Terrors“ veranstaltet haben, von der Wehrmachtsausstellung abgrenzen?

Wir verzichteten auf die Massierung von Erhängungs- und Erschießungsfotos. Wir bezogen auch Grundbedingungen des Krieges ein wie etwa den Matsch und die Kälte. Aber wir ließen keinen Zweifel am verbrecherischen Charakter des Krieges.

Wie erklären Sie sich den überwältigenden Erfolg der Wehrmachtsausstellung, auch im Vergleich zu Ihrer eigenen, übrigens ebenfalls sehr beachteten Ausstellung?

1995 war ein Gedenkjahr, von dem die Rechten hofften und die Linken fürchteten, es würde das Letzte seiner Art sein. Mittlerweile hat sich herausgestellt, dass das Interesse an der Geschichte des nationalsozialistischen Deutschland mit historischem Abstand eher noch zunimmt.

Woran liegt das?

Viele Fragestellungen, die einen schärferen Blick auf die deutsche Gesellschaft zu werfen gestatten, sind jetzt erst entwickelt worden. Manche unserer Arbeiten aus früherer Zeit scheinen mir heute oberflächlich. Tatsache ist auf alle Fälle, dass das Bild, das sich heute zeigt, immer schrecklicher wird.

Also weiter Ausstellungen in geschichtspolitischer, besser vielleicht in geschichtspädagogischer Absicht?

Unbedingt. INTERVIEW: CHRISTIAN SEMLER

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