Rüffel vom Bundesradler

Bundesumweltminister Trittin bezeichnet die Radwege der Hauptstadt als knochenbrechend. Bundestagsabgeordnete von PDS bis CDU stimmen zu. Der Senat gibt kaum Geld für neue Routen

von PLUTONIA PLARRE

Die Kritik von Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) an der Fahrradpolitik des Berliner Senats hätte vernichtender kaum sein können. „Als passionierter Fahrradfahrer muss ich sagen: Was seine Radfahrerfreundlichkeit betrifft, ist Berlin vom Hauptstadtniveau noch meilenweit entfernt“, sagte der führerscheinlose Minister, der nur allzu gern radelt. „Das hat weniger mit rücksichtslosen Autofahrern zu tun als vielmehr mit dem mangelhaften Radwegenetz“. Die Qualität der Strecken sei mitunter „nicht bahn, sondern knochenbrechend“. Trittin vermisst ein übersichtliches Radwegenetz, das wie in anderen Großstädten ein Gesamtkonzept erkennen lässt.

Quer durch die Bundestagsfraktionen erhält der grüne Minister Unterstützung. „Weil ich nicht als Organspender enden will, fahre ich manchmal über den Bürgersteig“, gibt etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Rainer Eppelmann notgedrungen regelwidriges Radeln zu. Auch er würde sich daher über mehr Radwege freuen. Und Angela Marquardt (PDS) empfindet Rad fahren in Berlin als „manchmal lebensgefährlich“.

Der Umweltminister hat einen wunden Punkt getroffen: Fahradpolitik hat unter der großen Koalition in den 90er-Jahren de facto nicht stattgefunden. Erst seit die CDU im vergangenem Herbst das Verkehrsressort an Peter Strieder (SPD) abgetreten hat, zeichnet sich ein Silberstreif am Horizont ab. Erstmals wurde für die Förderung des Radverkehrs in Berlin ein eigener Haushaltstitel geschaffen. Der Etat für dieses Jahr beläuft sich auf 3 Millionen Mark. 2001 sollen es 5 Millionen werden. Das ist vor allem dem Engagement des Vorsitzenden des ADFC, Michael Föge, zu verdanken. Strieder ernannte ihn im Mai zum ehrenamtlichen Fahradbeauftragten des Senats.

Trotzdem fallen nur Brosamen für die Radfahrer vom Senatstisch. Zum Vergleich: Der Autotunnel unterm Tiergarten kostet 800 Millionen Mark, die U 5 satte 1,3 Milliarden Mark. Der Ausbau des Veloroutennetzes von derzeit 40 auf 660 Kilometer Länge würde 300 Millionen Mark kosten. Velorouten sind besonders sichere und attraktive Strecken von der City bis zur Stadtgrenze, nicht mit Fahrradwegen zu verwechseln. Radwege gibt es in 800 Kilometer Länge.

„Wer sich in der Stadt auskennt, kann ganz vernünftig fahren, zumal 72 Prozent der Straßen Tempo-30-Zonen sind“, meint Heribert Guggenthaler, Referatsleiter für die Planung und Gestaltung von Straßen in der Verkehrsverwaltung. Im Ostteil der Stadt gebe es aber einen „riesigen Nachholbedarf“, räumt Guggenthaler ein. Deshalb verstehe er Trittins Kritik auch als Ansporn. Die Planung sehe vor, dass bis zum Ende der Legislaturperiode „120 Kilometer Veloroute umgesetzt“ seien.

„Wegen der großen Versäumnisse in der Vergangenheit hat Trittin mit seiner Kritik Recht“, findet der Fahrradbeauftragte Föge. Wegen der Kiezstrukturen und der ebenen Landschaft sei Berlin geradezu prädestiniert zum Fahrradfahren. Schon jetzt würden 10 Prozent aller täglichen Wege auf dem Velo zurückgelegt. „500.000 Leute fahren Rad“, sagt Föge. Seiner Meinung nach könnten die auf dem Fahrrad zurückgelegten Wege durch eine Verbesserung der Infrastruktur ohne Probleme auf 25 Prozent gesteigert werden.

Aber auch Trittin muss Taten zeigen. Kommende Woche besprechen Mitarbeiter der Verkehrsverwaltung mit der Bundesregierung ein fahrradfreundliches Regierungsviertel. „Trittin könnte sich für die Einrichtung von ‚Call-a-bike‘-Stationen nach Münchner Vorbild stark machen“, schlägt Guggenthaler vor.