Demokratisierung durch Islamisten

In Ägypten ist den Kandidaten der eigentlich verbotenen Muslimbrüder trotz massiven Behinderungen erstmals der Einzug ins Parlament gelungen. Die Regierungspartei von Präsident Mubarak sackte auf 85 Prozent der Stimmen ab – eine Blamage

von EDGAR PEINELT

Als der ägyptische Innenminister Habib al-Adli am Mittwoch im Fernsehen das Ergebnis der Parlamentswahlen bekannt gab, schien alles beim Alten: Die regierende National-Demokratische Partei (NDP) hat wie vor fünf Jahren eine Zweidrittelmehrheit errungen. Sie wird 388 der 454 Sitze im „Rat des Volkes“ innehaben, von denen zehn ohnehin vom Staatspräsidenten Hosni Mubarak vergeben werden. Auch der Abstimmungsverlauf erinnert an frühere Urnengänge. Die Opposition spricht von Wahlbetrug, es gab Straßenschlachten, Tote und Verletzte.

Doch einiges war anders bei diesen Wahlen. 1995, nach einem Wahlkampf der 60 Tote forderte und der Verhaftung Tausender von Islamisten, hatte die Regierungspartei 92 Prozent der Stimmen reklamiert, nur 13 Vertreter der Opposition zogen ins Parlament ein. Diesmal sind es nur 85 Prozent für die NDP, und erstmals seit 1990 wird die seit 1954 verbotene Muslimbruderschaft wieder vertreten sein. Sie stellt 17 Abgeordnete, die als Unabhängige kandidiert hatten. Auch die vier legalen Oppositionsparteien sind mit 17 Sitzen dabei.

Eingeleitet wurde dieser Wandel im Juli, als das Oberste Verfassungsgericht überraschend einer Klage von Islamisten stattgab und eine Änderung des Wahlverfahrens anordnete. Statt der lokalen Verwaltung, die traditionell zur Klientel der Regierungspartei gehört, sollten „höhere Beamte der Justiz“ die Stimmabgabe überwachen. Die Regierung fügte sich der Entscheidung, die von manchen als Zeichen zunehmenden Einflusses der Islamisten im Rechtssystem gesehen wurde, und änderte das Wahlgesetz. Um die Entsendung der Justizvertreter zu organisieren, mussten die Wahlen in drei Runden abgehalten werden, in jeweils einem Drittel der 26 ägyptischen Regierungsbezirke. Hinzu kamen Stichwahlen. Das Ganze zog sich vom 18. Oktober bis zum 14. November hin.

Vermutlich war das Einlenken der Machthaber der Versuch, der wachsenden Kritik an Demokratiedefiziten in Ägypten die Spitze zu nehmen. Doch als bereits in der ersten Wahlrunde prominente NDP-Vertreter scheiterten und nach der zweiten Runde 15 islamistische Kandidaten ein Mandat erzielt hatten, griff man zu bewährten Methoden gegen die Muslimbruderschaft, die in den letzten Jahren wiederholt mit Parteigründungsanträgen gescheitert war und diesmal 75 Unabhängige aufgeboten hatte. Wo immer diese zur Wahl standen, wurden die Wahllokale von der Polizei abgeriegelt, ihre Anhänger bedroht und vertrieben.

Die erste Wahlrunde forderte zwei Tote und hunderte von Verletzten, wobei auch Auseinandersetzungen zwischen Kandidaten eine Rolle spielten. Mindestens 10 Tote gab es insgesamt bei den Wahlen. Allein bei der letzten Stichwahl am 14. November erschossen Sicherheitskräfte in Kairo vier Menschen.

In zwei Wahlkreisen werden Nachwahlen stattfinden. Einer davon ist der Bezirk Ramleh, in dem Dschihan Halfaui angetreten war, die einzige Frau unter den Kandidaten der Islamisten. Sie hatte vor der ersten Runde, die sie dann gewann, auf Stornierung der Wahl geklagt, weil sie sich durch Verhaftung ihrer Wahlhelfer behindert sah. Die Wahl fand statt, aber ein Dekret des Innenministers verschob die Stichwahl auf einen unbestimmten Termin Ende November.

Im Regierungslager ist die Wahl natürlich als Zeichen der Demokratisierung gefeiert worden, aber auch Regimegegner sehen gewisse Fortschritte. Der Menschenrechtsaktivist Saad-Eddin Ibrahim, der im Juli verhaftet wurde, weil er versucht hatte, eine unabhängige Wahlbeobachtung zu organisieren, erklärte, die Wahlen seien diesmal „zu 60 Prozent fair“ verlaufen.

Wenn das ägyptische Parlament am 13. Dezember zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt, muss sich Staatspräsident Hosni Mubarak jedenfalls keine Sorgen machen. Er ist per Volksabstimmung für sechs Jahre gewählt, und seine Partei wird ihre Mehrheit nutzen, um ihn erneut als einzigen Kandidaten für das höchste Amt zu nominieren.