: Botanische Multikulti-Visionen
Weinstöcke und Hanfgärten in Downtown: Auf dem rund 15 Hektar großen Areal am Gleisdreieck wollen die Grünen einen multikulturellen Park errichten. Nach der Parzellierung sollen verschiedene Initiativen das Gelände bewirtschaften
von ESTHER KOGELBOOM
Ginge es nach den Berliner Grünen, könnten wir in nicht allzu ferner Zukunft bei einem Gläschen „Gleisdreieck Südhang“ in der arabischen Oase sitzen und den unverbauten Blick auf ein japanisches Bambuswäldchen genießen. Weinstöcke am Gleisdreieck sind jedoch nur ein Teil der Vision des Grünen Matthias Bauer, der, nomen est omen, Ackerbau und Viehzucht zwischen Potsdamer Platz und Regierungsviertel betreiben will.
Auf dem ungefähr 15 Hektar großen Areal muss ein Park entstehen, weil die Investoren am Potsdamer Platz dazu verpflichtet sind, einen ökologischen Ausgleich für die Bebauung zu schaffen. Insgesamt 45 Millionen Mark liegen für die geplante Erholungsfläche bereit – auf dem Konto der Stiftung Naturschutz. Das gesamte Grundstück gehört der Deutschen Bahn AG, mit der das Land Berlin in einem Vetrag von 1994 vereinbart hat, die 15 Hekar für die Parkanlage zu kaufen. Im Gegenzug stellte das Land der Bahn in Aussicht, Baurechte am Gleisdreieck zu schaffen. Eine konkrete Einigung gab es bisher allerdings noch nicht.
Das Areal wird östlich und westlich von den dicht besiedelten Quartieren in Kreuzberg, Schöneberg und Tiergarten begrenzt und endet im Norden mit den Bauten am Potsdamer und Leipziger Platz. Das Gleisdreieck soll in Zukunft durch das Lenné-Dreieck mit dem großen Tiergarten verbunden werden, zu den Grünflächen am Anhalter Bahnhof nördlich des Landwehrkanals gibt es schon jetzt Durchgänge. Nahe des Museums für Verkehr und Technik auf dem ehemaligen Anhalter Güterbahnhof ist über die Mauerjahre ein kleiner Wald entstanden, mit Bauers Worten: „eine Art mulikulturelle Gesellschaft im Reich der Pflanzen“. Das Haus der Kulturen der Welt gibt es bereits, ebenso den Karneval der Kulturen, jetzt fordern die Berliner Grünen also das gärtnerische Pendant zum Multikulti-Anspruch. Zuerst, schlägt Matthias Bauer vor, soll die Fläche in bester Kleingärtner-Manier in Parzellen aufgeteilt werden. Die einzelnen Lauben sollen von Gruppen bewirtschaftet werden, zum Beispiel Hausgemeinschaften, kulturellen Vereinen und Kirchengemeinden. Die Größe der Gartenabschnitte sei abhängig von der Leistungsfähigkeit der Gruppen, die selbstständig bestimme sollen, „wie sie ihre Gärten gestalten, welche Pflanzen dort wachsen, welche Tiere dort leben, ob sie ihren Garten einfrieden, dort ein Zelt oder eine Hütte aufstellen und wie sie ihre Feste feiern“. Bedingung: Mehrmals im Jahr müssen die Gärten für alle Besucher offen sein, alle müssen sich an der Organisation beteiligen.
Das Multikulti-Paradies nach Bauers Gusto sieht echt kreuzbergisch-türkische Gemüsegärten neben schwäbischen Obstwiesen vor, arabische Oasen und japanische Bambuswäldchen sowie afrikanische und südamerikanische Gärten. Selbstverständlich dürfen im erträumten Garten Eden auch Hanf-Plantagen, Weinstöcke, Kräutergärten und ein glatt gebürsteter englischer Rasen nicht fehlen.
Der Park am Gleisdreieck – das Land, wo die Zitronen blühen? Na klar, meint auch Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Abgeordnetenhaus. „Reisterrassen sehe ich zwar nicht, aber schließlich kommt der Begriff Kultur aus dem Landbau“, sagt Berger. „Da nähern wir uns sozusagen dem Kern der Sache Multikulti.“ Weil ihm die Vision des Matthias Bauer gefällt, will Berger eine parlamentarische Initiative starten.
Doch zunächst will das Konzept diskutiert werden. Am 23. November um 20 Uhr findet im Abgeordnetenhaus eine Debatte zum Thema statt. Jeder, der etwas beizusteuern hat, ist herzlich willkommen.
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