Das Warten hat kein Ende

Die Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter verzögert sich weiter, weil das Landesarchiv seine Pforten schließt. Die Kulturverwaltung hat den Mietvertrag für neue Räume zu spät abgeschlossen

von RALPH BOLLMANN

Die Entschädigung für ehemalige Zwangsarbeiter in Berlin droht sich weiter zu verzögern. Gerade erst hat die eigens gegründete Stiftung ihre Arbeit aufgenommen, da schließt just das Landesarchiv jener Stadt, in der die meisten Zwangsarbeiter beschäftigt waren, für fast ein Jahr seine Pforten. Wegen des anstehenden Umzugs von Schöneberg nach Reinickendorf sei das Archiv „ab Januar 2001 zur Schließung der Lesesäle und zur Unterbrechung der Benutzung gezwungen“, schreibt dessen Direktor Jürgen Wetzel in einer Mitteilung an die Nutzer. „Ein Zugriff auf die Archivalien wird dann leider erst wieder ab Herbst 2001 möglich sein.“ Die Anträge auf Entschädigung müssen allerdings bis April gestellt sein.

Das Problem ist entstanden, weil der Mietvertrag für die alten Archivräume bereits zum Jahresende ausläuft. Das neue Domizil ist allerdings erst in einem knappen Jahr bezugsfertig. Nach Darstellung der bündnisgrünen Abgeordneten Alice Ströver wurde der im Dezember 1999 ausgehandelte Mietvertrag von der Kulturverwaltung – trotz der bekannten Zeitnot – erst ein halbes Jahr später abgeschlossen. Zwischenzeitlich hatte die Behörde offenbar andere Standorte erwogen.

Im Landesarchiv lagern wichtige Akten, die für den Nachweis von Entschädigungsansprüchen von Belang sind. Dabei handelt es sich um Unterlagen über Zwangsarbeiterlager, Gefangenenkarteien, Kriminalakten und die komplette Einwohnermeldekartei. Der internationale Suchdienst des Roten Kreuzes in Arolsen kann hier nur bedingt weiterhelfen. „Dort ist die Berliner Meldekartei erst bis zur Hälfte des Alphabets erfasst“, sagt der stellvertretende Archivdirektor Klaus Dettmer. Zudem verwahren die Berliner Archivare auch die Bestände von Unternehmen, die zu DDR-Zeiten verstaatlicht wurden.

Die noch im Aufbau befindliche Bundesstiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, die für die Bearbeitung der Anträge zuständig ist, wurde auf das Problem erst durch Recherchen der taz aufmerksam. Denn vier Monate nach In-Kraft-Treten des Gesetzes ist das Verfahren für die Archivanfragen noch immer nicht geklärt. Ende dieses Monats wolle sich die Stiftung mit Vertretern der einschlägigen Archive darüber sprechen, kündigte Stiftungsmitarbeiter Ralf Possekel an.

Die Jewish Claims Conference, die das Landesarchiv für Anträge auf die Rückgabe ehemals jüdischen Vermögens ebenfalls nutzt, hat bereits reagiert. Die Nachricht über die bevorstehende Schließung des Archivs sei „bestürzend“, heißt es in einem Schreiben der Organisation an Archivdirektor Wetzel. „Wären die relevanten Archivbestände nicht mehr zugänglich, müsste vermutlich in sehr vielen Einzelfällen das Verfahren ausgesetzt werden.“ Dies sei umso schlimmer, als sich fast die Hälfte aller Ansprüche der Claims Conference auf Vermögenswerte in Berlin beziehe.