US-PRÄSIDENT BILL CLINTON ZU BESUCH IN VIETNAM
: Der richtige Ton

„Renovieren, ohne die Farbe zu verändern“, so umschreibt Le Kha Phieu, der Generalsekretär von Vietnams Kommunistischer Partei, sein Programm. US-Präsident Bill Clinton besucht ein Land, dessen politische Führung bis heute hartnäckig an einem alten Traum festhält. Vietnams Kommunisten wollen die Wirtschaft reformieren, aber zugleich dafür sorgen, dass ihre Macht in allen Teilen der Gesellschaft fest verankert bleibt. Den zweiten Teil der Aufgabe haben sie schon erledigt. Tatsächlich hat es in Vietnam – anders als in China – nie eine einflussreiche Demokratiebewegung gegeben.

Bisher verhinderte die vietnamesische Regierung den Versuch organisierter Opposition auf dreierlei Weise: Sie verhaftete Kritiker oder verbannte sie in entlegene Dörfer, ins so genannte innere Exil. Außerdem ließ sie zu, dass mehr als eine Million unzufriedene Vietnamesen als Bootsflüchtlinge oder legale Auswanderer aus dem Land verschwanden. Schließlich erinnert die Kommunistische Partei die Bevölkerung unentwegt daran, unter welch großen Opfern die heutige Führung des Landes die Unabhängigkeit gegenüber den äußeren Feinden verteidigte – gegen den Nachbarn China ebenso wie gegen die frühere Kolonialmacht Frankreich und die Truppen der USA.

Die Folge dieses Dreiklangs ist die merkwürdige Mischung aus nationalem Stolz, politischer Resignation und alltäglichem Zynismus, die viele Vietnamesen gegenüber ihrer Regierung empfinden. Einerseits warten sie darauf, dass die verknöcherte erste Generation der Parteiführer endlich „den Weg Ho Chi Minhs“ geht. Andererseits fürchten die Vietnamesen nichts mehr als die mittlere Generation der vierzig- bis sechzigjährigen Funktionäre. Eine vietnamesische Schriftstellerin fasste es kürzlich so zusammen: „Die sind die Schlimmsten: Sie haben ihren Glauben an die Revolution verloren und sind nur noch habgierig und korrupt.“

Clinton hat angesichts dieser Situation mit seiner vorsichtigen Rede vor der Nationalen Universität in Hanoi wohl den richtigen Ton getroffen: Er vermied es, die vietnamesische Regierung allzu direkt wegen der Menschenrechtsverletzungen anzugreifen, weil dies möglicherweise auch von den anwesenden Studenten als „ausländische Einmischung“ empfunden worden wäre. Gleichzeitig versprach er seinen Zuhörern – ebenso indirekt – mehr individuelle Freiheit durch wirtschaftliche Öffnung. Ob das so stimmt oder nicht, ist zweitrangig. Es war genau das, was die Vietnamesen hören wollten. JUTTA LIETSCH