Der Schattensenator

■ In Bremen ist Bernd Hockemeyer everybody's darling. Seit sich der Präses der Handelskammer zum Fürsprecher der von Kürzungen bedrohten Kulturszene gemacht hat, wünschen sich viele, er möge ein politisches Amt übernehmen

Fettspritzer, Putzteufel, Beziehungsdramen – vieles kann einem beim Anblick einer Fliesenwand in den Sinn kommen. Aber Freiheit – wer guckt schon auf Fliesen und denkt: FREIHEIT?

Niederländische Fliesen hatten es dem Münchener Studenten der Ökonomie besonders angetan. Es ist Wirtschaftswunderzeit: Die Republik kachelt sich frisch ein, das Alte muss von den Wänden weichen. Da trifft es sich gut, dass der junge Student, der sich hinter dem Zeitungsinserat „Kaufe Fliesenwände“ verbirgt, gleich mit dem Stemmeisen im Türrahmen erscheint und sich daranmacht, dem Neuen Platz zu schaffen. Ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die einen bekommen wie gewünscht die leere Wand, der Student die historischen Kacheln aus dem 16. und 17. Jahrhundert, aus jener Epoche also, als das kleine Küstenland Niederlande Europas Mekka der Geschäftstüchtigen, der Künstler und eben der Freiheitsliebenden war.

Fliesen sammelt Bernd Hockemeyer inzwischen nicht mehr. Doch die Bewunderung für das Zeitalter der Renaissance, in dem Ökonomie, Politik und Kunst sich zum gegenseitigen Vorteil befruchteten, sind dem erfolgreichen Mittelständler und derzeitigen Präses der Bremer Handelskammer geblieben. Und wer weiß, wie viel Bremens Kulturszene jener nostalgischen Erinnerung an selbst geklopfte, freiheitliche niederländische Fliesen zu verdanken hat, als es ihr Ende letzten Jahres gelang, Bernd Hockemeyer zu ihrem gewichtigen Fürsprecher zu machen.

Sein Kultur-Einsatz überraschte viele

Mit diesem Gegner hatten die großkoalitionären Sparkommissare wohl am wenigsten gerechnet, als sie sich damals daranmachten, den Kulturetat gemäß dem gestrengen Sanierungskonzept des Senats zurechtzustümmeln. Ausgerechnet Bremens höchster Unternehmerfunktionär äußerte öffentlich Bedenken gegen Teile des Sanierungsplans. Ausgerechnet ein CDU-Mitglied machte plötzlich Front gegen eine Politik, die seine CDU-Parteikollegen maßgeblich forciert haben. Ausgerechnet Kapitalist Bernd Hockemeyer machte sich zum Anwalt einer Szene, die laut Volksmund mit Geld nicht umgehen kann, aber dafür keine Gelegenheit auslässt, den Kapitalismus mitsamt seinen Kapitalisten zum Teufel zu wünschen.

Ausgerechnet Bernd Hockemeyer also. Die pfiffige Kulturinitiative „Anstoß“ hatte richtig spekuliert, als sie im Kampf gegen die Millionenkürzungen im Kulturetat die Nähe zur Handelskammer suchte. Mit Hockemeyer bewegte sich an der Seite der „Anstoß“-InitiatorInnen Katrin Rabus und Klaus Pierwoß plötzlich ein mächtiges Schwergewicht auf politischen Brachland, in dem das dröge ökonomistische Neusprech von McKinsey & Co dominierte und wo es sich der zuständige Fach-Senator angesichts des rauen Winds aus dem Finanzressort Schutz suchend in der Versenkung bequem gemacht hatte.

Schon unmittelbar nach ihrer ersten Börsennotierung 1999 hatte nämlich die Performance der Aktie Bernt Schulte (CDU) den kulturellen Anlegern wenig Anlass gegeben, im Kampf gegen die Gesinnungs-Schotten im Bremer Rathaus große Hoffnungen auf das Standing ihres Kultursenators zu setzen. Die Veröffentlichung von Abschusslisten, Kahlschlag-szenarien und die Kündigung des Vertrauensschutzes für alle Einrichtungen hatten binnen weniger Monate den bei Amtsantritt noch als kultivierten Großbotaniker gefeierten Schulte aus der Sicht der Kulturszene zum piefigen Schrebergärtner Schültchen gemacht, der sich zudem in innerparteilichen Querelen und der Suche nach dem nächsten Fettnapf aufrieb.

Mit Schulte, so dämmerte es dem Gros der Kulturaktivisten daher schon früh, war nicht einmal der berüchtigte Blumentopf zu gewinnen. Der spektakuläre, bundesweit einmalige Schulterschluss mit der Handelskammer eröffnete da aussichtsreichere Perspektiven. Plötzlich kämpfte die „linke“ Kulturszene Seite an Seite mit der Wirtschaft gegen die „Konservativen“: Irgendwas stimmte da nicht mehr in Bremens politischem Koordinatensystem. Als einer der Ersten trug Jens Eckhoff der überraschenden neuen Gefechtslage Rechnung. Hockemeyers viel beachtetes Engagement gegen die Etatkürzungen in der Kultur öffneten dem zumindest für Verschiebungen im Machtgefüge feinfühligen CDU-Fraktionschef die Augen.

Um einen Ruf als harter Sanierer bemüht, hatte Eckhoff bei seinen anfänglichen Attacken gegen das angeblich übersubventionierte Bremer Theater Entscheidendes übersehen. Auch CDU-Klientel geht nämlich gern in die Kunsthalle, besucht das Theater und sitzt beim Staatsorchester bevorzugt in der ersten Reihe. Spätestens beim unverhofften Anblick des CDUlers Hockemeyer auf der anderen Seite der Barrikade mutierte Saulus Eckhoff zu Paulus Eckhoff. Mit Verve gibt der über Nacht geläuterte Fraktionschef nun den kulturpolitischen Sprecher in der politischen Bütt und machte sich jüngst im taz-Interview gar für die Abkopplung des Kulturetats vom Sparkurs des Senats stark. Mit Genugtuung registriert Bernd Hockemeyer die politischen Folgen seiner Allianz mit Bremens Kulturszene. Der 65-Jährige ist der Prototyp eines Menschen mit klarem Willen zur Macht: Ziele gibt es, um sie zu erreichen – möglichst ohne Abstriche. Aus der Handelskammer ist zu hören, Hockemeyer pflege mit seinen Gesprächspartnern einen „freundlichen, aber bestimmten Ton – einen sehr bestimmten Ton“. Das Kalkül ist dabei das eines gewieften Ökonomen: Maximalen Einsatz bei minimaler Planerfüllung gilt es schon aus Effizienzgründen unbedingt zu vermeiden. Schon deshalb zählt er nicht gerade zu den größten Bewunderern des eher entscheidungsschwachen Bernt Schulte. „Wir waren keine ausgesprochenen Kombattanten“, resümiert Hockemeyer seine Erfahrungen mit dem Kultursenator im Kampf um die Etatmillionen, und: „Ich hätte als Senator da einiges anders gemacht.“ Wer Hockemeyers dezente Andeutungen zu interpretieren weiß, ahnt, was das bedeutet.

Wer hinter den Kulissen kräftig und erfolgreich genug wirbelt, kann sich vor ihnen darauf beschränken, Bescheidenheit zu verströmen. „Die Handelskammer hat keine Macht“, hört sich ihr Präses daher gerne sagen, „aber natürlich freuen wir uns, wenn unsere Argumente gehört werden.“ Immerhin löste der ohnmächtige Präses mit seiner Kulturintervention einen kleinen Erdrutsch aus. Erstmals sah sich der Bremer Senat angesichts des übergreifenden Widerstands aus Kultur und Wirtschaft gezwungen, sein Sanierungskonzept zu korrigieren.

Bei einem Gesamtsparvolumen von 850 Millionen Mark bis 2005 waren die im Kulturetat geplanten Streichungen von zwölf Millionen Mark zwar kaum mehr als die berühmten Peanuts. Doch weitaus höher als der finanzielle Gegenwert lag die symbolische Bedeutung des Kulturstreits. Kann Bremen, so lautete die über allem schwebende Frage, durch die Finanzierung touristischer Großprojekte wie Musical, Rhodarium oder Space Park saniert werden, wenn parallel dazu im Bildungs-, Sozial- und Kulturbereich nach und nach die Lichter ausgeknipst werden?

Schulte-Fan ist Hockemeyer nicht

Hockemeyer, der Mitte der 90er Jahre als Präsidiumsmitglied der Handelskammer die Entstehung des Sanierungskonzepts beratend selbst mitbegleitet hatte, hält Korrekturen inzwischen für geboten. Zwar gebe es zur Sanierung nach wie vor keine Alternative. „Aber dass man nach einigen Jahren Bilanz zieht und prüft, ob uns die beobachtbaren Effekte dem Sanierungsziel auch wirklich näher gebracht haben und ob die Dimensionen noch stimmen, halte ich für selbstverständlich.“ In Bremens zunehmend nervös agierenden politischen Machtzirkeln, wo nahezu jede Form von Kritik inzwischen als Miesmachertum denunziert wird, ist das so selbstverständlich nicht. Die breite Resonanz auf Hockemeyers Interventionen gründet auch in diesem giftigen Klima. Hockemeyer weiß, dass er dabei den Finger in die wunden Punkte des Sanierungskurses gelegt hat. „Bisher ist jedenfalls noch niemand gekommen, der gesagt hat, ich läge mit meinen Positionen falsch“. Und er weiß, dass da auch niemand kommen wird – zumindest weiß er es jetzt, am Ende eines Prozesses, dessen durchschlagende Wirkung wohl auch ihn überrascht, die ihm aber auch kräftig geschmeichelt hat. Für den Kammer-Präses hat dies einen weiteren erfreulichen Nebeneffekt: „Seit der Kulturdebatte finden die Positionen der Handelskammer inzwischen auch in der taz und bei Radio Bremen Gehör – das war in der Vergangenheit ja nicht unbedingt der Fall.“

Wohin man also blickt: In Bremen wimmelt es derzeit von Hockemeyer-Fans. Nicht wenige haben ihn gar derart in ihr Herz geschlossen, dass sie ihn hinter vorgehaltener Hand schon als „Schattensenator“ handeln und darüber spekulieren, ob der Bremen-Norder nicht schon sehr bald eine ideale CDU-Führungsfigur abgeben würde. Die Chancen dafür stünden sogar gut. Ende des Jahres scheidet Hockemeyer als Präses der Handelskammer aus, und in der CDU gilt neben Schulte auch der dem Vernehmen nach amtsmüde Wirtschaftssenator Josef Hattig als heißer Kandidat für den vorzeitigen Ruhestand. Allein: Hockemeyer mag nicht Senator werden. „Mich hat bislang noch keiner gefragt und ich würde das Angebot auch ablehnen, weil ich mich künftig wieder verstärkt um meine Firma kümmern will.“ Besagen muss das nicht viel. Als dem schon damals viel Beschäftigen 1997 das Ehrenamt des Handelskammer-Präses angetragen wurde, war er dazu zunächst ebenfalls nicht bereit – und wurde es dann doch. Der Erotik der Macht widerstehen Macher eben nur schwer.

Ob allerdings ein politisches Amt überhaupt genügend Erotik verströmen kann, um Bernd Hockemeyer verführen zu können, ist fraglich. Zumindest fallen seine Erfahrungen als Politiker eher ernüchternd aus. „Innerlich leer und denaturiert“ hat er sich gefühlt, als er 1979 nach vier Jahren als wirtschaftspolitischer Sprecher der CDU wieder aus der Bremischen Bürgerschaft ausschied. Hockemeyer war die „wenig ersprießliche Arbeit“ im Parlament leid. Seine Lust, sich auf der Oppositionsbank weiterhin Sprüche wie „Ihr habt die besseren Ideen, wir haben die Macht“ anzuhören, hielt sich ebenfalls in Grenzen. Doch mehr noch als das wurmte es ihn, dass es ihm verwehrt war, „mitgestalten zu können, eigene Pläne auch verwirklicht zu sehen“. Mitgestaltet hat der vierfache Vater dann anderswo, im Aufsichtsrat von Kreditinstituten, den Stahlwerken oder im Aufsichtsrat der Bremer Lagerhaus Gesellschaft, die er in den 90er Jahren vom Staatsbetrieb zum Privatunternehmen umbaute. Zwar liegt Hockemeyer, der sich in der Tradition des Ordo-Kapitalismus „einen starken Touch ins Linksliberale“ attestiert, viel an diesem ehrenamtlichen Engagement. Aber die persönlichen Prioritäten sind andere: „Erst kommt das eigene Unternehmen, dann das eigene Unternehmen – und dann das Gemeinwohl, und dann das Gemeinwohl“.

Die Keimzelle des Hockemeyer'schen Gestaltungswillens, ist daher seine Firma „Gebrüder Thiele“, der er seit 1960 als persönlich haftender Gesellschafter vorsteht und mit der er sogar Kulturgeschichte geschrieben hat. Denn ohne Hockemeyers Pioniergeist wäre ein deutscher Sommer heutzutage noch trostloser als eh schon. Anfang der 60er Jahre war er es, der unter dem Spott seiner Großhandelskollegen 30.000 „Original-Barbecues“ aus den USA ins Grillentwicklungsland Deutschland importierte. An den Siegeszug des Holzkohlegrills durch die hiesigen Gartenlauben glaubte damals niemand. Hockemeyer aber schon. Und so muss die Konkurrenz auf einen Satz verzichten, der nun stolz im Geschäftsbericht zum 150-jährigen Firmenjubiläum von 1998 prangt: Man habe „die Entwicklung des Grillens in Deutschland entscheidend geprägt“.

An zwanzig Standorten in Deutschland, den USA und Ostasien beschäftigen sich inzwischen 1.300 Thiele-MitarbeiterInnen mit Sanitär- und Heizungsbedarf und der Produktion von Haushaltsartikeln, Gartengeräten, technischen und Gießerei-Produkten. Die Geschäfte laufen gut. So gut, dass Hockemeyer sich mit den Jahren eine „nicht ganz unbedeutende“ Sammlung venezianischen Glases und eine „ganz ansehnliche“ Kollektion edler Weine zulegen konnte. So gut, dass er, wie unlängst auf der Pressekonferenz anlässlich der Bekanntmachung der Bremer Grass-Stiftung verkündet wurde, eine wohl nicht ganz unbedeutende Summe zu ihrer Gründung beigesteuert hat. So gut schließlich, dass er nach der Einführung des Grills sich ein zweites Mal in die Geschichtsbücher einschrieb, als er eine nicht nur vermutlich ansehnliche Summe zahlte, um das von den Nazis geraubte und 1997 überraschend in Bremen aufgetauchte Mosaik aus dem legendären Bernsteinzimmer zu erwerben.

Russlands Präsident Putin hat gelacht

Während auf höchster Regierungsebene die Debatte umd die Rückgabe der so genannten „Beutekunst“ seit Jahren mehr oder minder auf der Stelle tritt, war die spektakuläre lokale Bremer Initiative – nicht immer zur Freude des neidischen deutschen Kulturministers – weitaus erfolgreicher. An der Seite von Bürgermeister Henning Scherf (SPD) konnte Hockemeyer Ende April nach St. Petersburg fahren und dem russischen Präsidenten Putin im Tausch gegen 101 aus der Bremer Kunsthalle geraubte Bilder das Bernstein-Mosaik übergeben. Ein historischer Moment, Aug' in Aug' mit Russlands Staatschef im Scheinwerferlicht der Weltöffentlichkeit. Da musste selbst der abgeklärte Bernd Hockemeyer nach den passenden Worten suchen. „Herr Präsident, das Mosaik ist vom bremischen Volk ans russische Volk zurückgegeben worden. Und ich bin ein Mann dieses Volkes“, sagte er da. Und, wie hat der Präsident auf diese kleine pathetische Ansprache reagiert? „Er hat gelacht“.

Franco Zotta