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Zu viele Feldherrn

Wer vertritt Europas Verteidigungspolitik? Darüber streiten die EU-Mitgliedsstaaten. Denn auf nationale Souveränität verzichtet keiner gern

aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER

Die ironische Bemerkung von Henry Kissinger ist fast dreißig Jahre alt, aber noch immer wird sie gern zitiert: „Wenn ich Europa anrufe, weiß ich nie, wer den Hörer abnimmt.“ Derzeit wüsste auch Europa gern, wer demnächst in Amerika den Hörer abnehmen wird. Diese Verwirrung dürfte allerdings rasch vorübergehen. Am Chaos auf dem Kontinent aber hat sich seit Kissingers Zeiten wenig geändert.

Im Amsterdamer Vertrag, der erst im Mai 1999 in Kraft trat und in wenigen Tagen in Nizza schon wieder überarbeitet wird, sind sämtliche Klarheiten beseitigt: „Der Vorsitz vertritt die Union in Angelegenheiten der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik“ – so Artikel 18,1. Zwei Absätze später heißt es: „Der Vorsitz wird vom Generalsekretär des Rates unterstützt, der die Aufgabe eines Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik wahrnimmt.“

Obwohl diese Stellenausschreibung denkbar diffus ist, hat sich seinerzeit Javier Solana beworben, der doch zuvor als Nato-Generalsekretär an klare Kompetenzen gewöhnt war. Mit Stellenbeschreibung und Personalentscheidung hat die EU die widersprüchlichen Signale gesendet, die für sie typisch sind: ein bisschen Kontinuität neben dem halbjährlich wechselnden Ratsvorsitzenden – aber nicht zu viel; ein bisschen Brückenbau zur Nato über Solanas alte Kontakte – aber nicht zu eng.

Um die Verwirrung komplett zu machen, bringt Artikel 18,4 die Kommission ins Spiel: „Die Kommission wird an den Aufgaben in vollem Umfang beteiligt. Der Vorsitz wird gegebenenfalls von dem Mitgliedsstaat, der den nachfolgenden Vorsitz wahrnimmt, bei diesen Aufgaben unterstützt.“

Wenn man dieses Paragrafendeutsch auf die aktuelle außen- und sicherheitspolitische Bühne überträgt, schreitet Jacques Chirac mit dem Europabanner und der Zusage voran, in Zukunft etwa zwanzig Prozent der benötigten Truppen und Geräte für Kriseneinsätze der EU stellen zu wollen. Ihm folgt ein Fähnchen schwenkender Schwede, der ab Januar EU-Vorsitzender sein wird und 1.900 Soldaten anbietet, darunter 50 Generalstabsoffiziere und Minenexperten. Den Rand der Szene bevölkern der für Außenpolitik zuständige Kommissar Chris Patten und Solana, die auch irgendwie Verantwortung tragen.

Einerseits nimmt das neue Verteidigungsbündnis schneller Gestalt an, als viele der EU zugetraut hatten. „Mit Lichtgeschwindigkeit“, wie Berufsoptimist Solana jüngst formulierte. Die meisten Länder haben sich bereits auf die Truppenstärke und das Gerät festgelegt, das sie für die Krisenreaktionstruppe in Bereitschaft halten wollen. Deutschland wird im Ernstfall 18.000 Soldaten stellen, die aus einem 27.500 Mann starken Pool ausgewählt werden können. Für die ganze EU sollen 100.000 Soldaten bereitstehen, aus denen dann innerhalb von zwei Monaten eine 60.000 Mann starke Truppe zusammengestellt werden kann.

Andererseits streiten die Mitgliedsstaaten schon jetzt um Posten und damit um nationale Einflusszonen – dabei soll die Truppe erst 2003 einsatzbereit sein. Derzeit wird ein Militärstab aus nationalen Militärexperten aufgebaut, der Ende 2001 150 Mitarbeiter haben soll. Den Stabsvorsitz hat ein Deutscher ergattert – General Rainer Schuwirth. Jacques Chirac soll getobt haben und verlangt nun, dass Frankreich den Vorsitz im Militärausschuss bekommt – im Gespräch ist Generalstabschef Jean-Pierre Kelche.

Offen ist, wer künftig den sicherheitspolitischen Ausschuss leiten soll, der schon Anfang März mit der Arbeit begonnen hat. Wird der Vorsitz im gleichen Rhythmus wie die Ratspräsidentschaft alle sechs Monate wechseln? Das könnte dazu führen, dass die Übergabe während eines Kriseneinsatzes der EU-Truppe über die Bühne gehen muss. Deshalb sprechen sich mehrere Mitgliedsländer dafür aus, dass Solana wenigstens in Krisenzeiten den Vorsitz führen soll.

Dann hätte der Mann wenigstens endlich eine richtige Aufgabe. Derzeit liest sich der Terminkalender von „Mister Gasp“ eher wie das Programm des pensionierten Ehrenvorsitzenden einer Partei: Jeden Tag hält er eine politische Fensterrede in einem anderen Teil der Welt, ohne dass die Öffentlichkeit davon weiter Notiz nähme.

Die Art und Weise, wie hier ein hoch bezahlter Fachmann seit Monaten darüber rätselt, wie er sich nützlich machen könnte, ist symptomatisch für die inneren Widersprüche der Union. Alle Mitglieder sind sich theoretisch darüber einig, dass sie Kräfte – zum Beispiel in der Rüstungsproduktion – bündeln sollten. Praktisch aber scheuen die meisten Länder davor zurück, nationale Eigenständigkeit aufzugeben. Deshalb löst ein starker Kommissionspräsident bei ihnen ebenso gemischte Gefühle aus wie ein starker außenpolitischer Repräsentant.

Mit der Westeuropäischen Union dagegen, die 52 Jahre lang für EU-Sicherheitspolitik zuständig war, hatten die Mitgliedsländer nie Probleme. Sie wurde 1948 noch vor der Nato gegründet und vor einer Woche sang- und klanglos in Marseille zu Grabe getragen. Auf Polizistenausbildung in Albanien und eine Minenräumaktion in Kroatien hat sich im Wesentlichen ihr Arbeitspensum eines halben Jahrhunderts beschränkt.

Das Beispiel zeigt, dass Organisationen, die den Mitgliedsländern wenig Kompetenzen streitig machen, bei allen wohlgelitten sind. Da die neuen Strukturen, die beim Gipfel in Nizza ihre endgültige Form erhalten sollen, darauf angelegt sind, die EU verteidigungspolitisch zum global player zu machen, dürften ihnen kaum derart friedliche fünfzig Jahre beschieden sein.

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