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Brabbelnde Zombies

■ Gelungene Premiere : „Woher? Wohin?“ am Oldenburgischen Staatstheater

Wege über Hintertreppen, durch Flure, immer andere Türen, über Wendeltreppen aus Stahlrosten – nichts für Pumps. Vorbei am Regiepult, durch eine letzte Tür, steht man in einem Bretterverschlag, Holzbänke bieten Platz für ein bisschen Publikum: „Woher, wohin“, das Theaterprojekt von Katja Cellnik (Regie) und Stephan A. Schulz (Bühnenbild) will den ZuschauerInnen seine Kernaussagen sehr sinnlich und hautnah vermitteln. Sie werden zu orientierungslosen Wanderern. Und so wie man meint, im Gebäude auf dem Weg irgendwie im Kreis zu laufen und doch nie anzukommen, so bewegt sich auch das Geschehen im Bühnenverschlag kreisförmig, immerwiederkehrend.

Stahlroste bilden den Boden und die Decke dieses Bunkers. Eine leise Frauenstimme kommt von irgendwoher, wird lauter, ist mitten unter uns. Tatsächlich, unter dem Publikumsraum blickt man in das Souterrain, dort kriecht diese Frau in ihrem Gefängnis, gefällt sich in ihrem autistischen Sing-Sang, brabbelnd. Ein Polizist läuft auf dem Rost, über ihren Kopf hinweg, wiederholt ordnungsbeflissen Autokennzeichen, Täterpositionen. Eine Frau folgt ihm, in ständiger Wiederholung, sagt sie ihren Einkaufszettel auf, vom Rahmspinat für neunundneunzig Pfennig bis zur Margarine, ein Junge schließt den Kreis, spielt seinen Basketball , zitiert fortwährend Spielergebnisse und Tabellenstände. Ineinander verkeilt nur finden diese Autisten Gemeinsamkeit, löffeln sich gegenseitig aus Suppentellern das Leben, das sie sich selbst eingebrockt haben, ungebrochen in ihrem Uhrzeigersinn. Fast ungebrochen, denn in die Litanei von der Zubereitung einer Linsensuppe, diesem mechanisch grausamen Alltag, in dem immerfort Zwiebeln glasig gebraten werden, tauchen unvermittelt Satzfragmente auf, die von erstarrten Kinderleibern berichten, von Leichenbergen. Erinnerungen, die durch die ausgequollenen Linsen schimmern, jäh abbrechen.

Katja Cellniks Ausgangsmaterial war tatsächlich Biljana Srbjanovics „Familiengeschichten. Belgrad“, das 1998 in einer Situation entstanden war, die sich geschichtlich überholt hat. Cellnik versucht in einer sehr eigenen Bearbeitung sehr viel allgemeiner die Verdrängungsleistungen im Alltag, Unaufmerksamkeit dem anderen gegenüber, Kontaktunfähigkeit zu thematisieren. Ihre Menschen sind traumatisierte Zombies, unfähig, ihre Artikulationsformen veränderten Gegebenheiten anzupassen. Der Junge kommuniziert nur über die Lautstärke seines Ballaufschlages mit der Frau im Souterrain. Momente tatsächlicher Berührung, als sie über einen Schacht hinauszuklettern sucht, scheitern am Rückzug in das gewohnte Muster. Immer wieder läuft eine stumme Menschenmenge in sich verkeilt durch den Raum, präsentiert saubere Handtücher, sie schneiden sich die Nägel vorbildlich, löffeln ihre Suppe aus. Und laufen auf dem Deckenrost, brabbeln ihren Absender, einzige Markierung ihrer Identität.

Diese stete Wiederkehr, die Monotonie aber wird derart eindringlich spürbar, dass sich in den letzten zwanzig Minuten des Stücks auch beim Zuschauer eine gewisse Langeweile einstellt, die nicht durch die schauspielerische Aktion, sondern durch akustische Effekte aufgebrochen wird. Hier zeigt Katja Cellnik ihre Handschrift als Opernregisseurin: Percussions wie von einem buddhistischen Kloster steigern sich zum Nägelschneiden, Profanes wird zum mörderischen Akt der Verstümmelung. Und schließlich mutet die Masse Mensch auf dem Deckenrost immer lauter trampelnd dem Zuschauer die Qual der Souterrainbewohnerin zu, so wird auf uns rumgetrampelt, bis die Leiber schließlich auf die Decke platschen, wie der Froschregen unlängst in „Magnolia“. Verleugnungen – ein schwieriges Thema, dem sich die Regisseurin teilweise erfolgreich näherte. Marijke Gerwin

Die nächsten Vorstellungen: 2., 18. und 29. Dezember jeweils 20 und 21.30 Uhr im Kleinen Haus des Oldenburgischen Theaters. Karten & Infos: 0441/22 25 111

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