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berliner szenenSchlinge und Kluge reden in der Volksbühne

Edel sei Dank

Was sie schon immer über Alfred Edel wissen wollten – gestern Abend hätten sie es erfahren können. Zum Beispiel, dass es eigentlich nur dem „alten Edel“ zu verdanken ist (oder sollten wir hier lieber von Schuld sprechen?), dass sich Christoph Schlingensief und Alexander Kluge überhaupt vor ein paar Jahren kennen gelernt haben. Weil der „gute Edel“ zuerst an einem Sicherheitsschloss gescheitert und daraufhin an einem Herzinfarkt gestorben ist nämlich, und der Schlingensief den Kluge bei der Trauerfeier vertreten hat. Aber das nur nebenbei.

Wenn das Enfant terrible der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz und der lakonische Theoretiker zu einem gemeinsamen Stelldichein laden, da erwartet man ja dann doch irgendwas, selbst wenn’s das Schlimmste ist.

So was hatten wohl auch die Macher des Abends befürchtet und vorsichtshalber nur das Sternfoyer der Volksbühne für die am Ende doch so zahlreich erschienenen Leute bestuhlt. Nach einigen mäßig bis gar nicht besuchten Volksbühnenveranstaltungen kamen sie wieder einmal zu hunderten, vor allem diese jungen hippen Mitte-Menschen, die hohen Wert auf kulturelles Kapital legen, um sich von den weniger schlauen und weniger hippen Menschen abzugrenzen. Und Schlingensief ist nun einmal immer noch hip. Kluge auch, auf seine straighte Art. Also steht man schon auch gern mal zwei Stunden, wenn die beiden einen ihrer berühmt-berüchtigten Endlos-Fernseh-Dialoge in aller Öffentlichkeit zelebrieren.

Ganz offiziell wollte man ja auch noch etwas präsentieren. Schlingensief hatte sich sogar acht Kaufanreize in seinem neuen Buch, einer Dokumentation über die Wiener Container-Aktion „Ausländer raus“, zurechtgelegt, um ebendieses ans anwesende Völkchen zu bringen. Kluge hatte dagegen nur zwei, obwohl seine 2.000 Seiten schwere und dementsprechend kostspieligere „Chronik der Gefühle“ beim studentischen Publikum vorhersehbar schwerer abzusetzen sein würde.

Schlingensief legte dann auch gleich entsprechend vor. Zur Einstimmung präsentierte er seinen kleinen „Wien-Putsch“-Kurzfilm – zwölf erschütternde Minuten österreichischen National-Theaters. Danach wurde erst mal geredet, viel geredet, philosophiert. Über Namibia und Wagner natürlich, über Marcuse, Lessing und Jünger, über Provokation, Revolution, Frustration und das Theater der Inflation; über die taz sogar (oder war’s doch die FAZ?), das Nomaden-Verhalten, immer wieder Adolf Edel (man hatte sich vorgenommen, mindestens alle halbe Stunde seinen Namen einzubauen), die Genese der Dummheit, über Hitler und irgendwann dann auch mal wieder über Wien.

Am Ende hatte Schlingensief es geschafft, immerhin ganze zwei Kaufanreize aus seinem Buch zu rezitieren und gab sogar noch einen dritten Kluge-Text zum Besten, als der mal kurz aufs Häusle verschwand.

Kluger Kluge, denn nach über zwei Stunden anspruchsvoller Pausenlos-Gesprächs-Lesung regte sich auch beim Großteil des Publikums der Wunsch nach Befreiung. Pech für diejenigen, die außer Freiheit auch noch ein Buch von Schlingensief wollten. Diese waren nämlich nach nur fünf Minuten fürs Erste vergriffen, während der nette Buchverkäufer in bester Marktschreiermanier und doch zusehends vergeblich versuchte, auch Alexander Kluges jahrelang heiß begehrtes und jetzt endlich wieder neu aufgelegtes Werk ebenso zahlreich unters Volksbühnen-Völkchen zu mischen.

Ja, weiß man denn heute nichts mehr zu schätzen. Aber egal. Oder um es mit Alfred Edel zu sagen: In einer Zeit, wo alles möglich ist, ist es egal, ob etwas gut oder schlecht ist.

PAMELA JAHN

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