So schlimm war es gar nicht

DAS SCHLAGLOCH von VIOLA ROGGENKAMP

Reemtsma hat der Ausstellung, die in der Gesellschaft viel Positives bewirkt hatte, Schaden zugefügt

„Auch sollte die Argumentation der Ausstellung weniger durch den Gestus der Staatsanwaltschaft als durch die Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft geprägt sein“ (Aus dem Bericht der Reemtsma-Kommission zur Überprüfung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“)

Das Foto zeigt zwei Männer etwa im selben Alter, um die fünfzig. Sie stehen einander gegenüber und schütteln sich die Hände. Das Händeschütteln ist am unteren Bildrand nicht mehr zu sehen, aber eindeutig zu vermuten, zumal der rechte Arm des einen Mannes verwackelt ist. Dieser Mann lächelt. Er lächelt erleichtert den anderen Mann an. Der andere Mann hält in seiner linken Hand eine Broschüre, den Kommissionsbericht zur Überprüfung der so genannten Wehrmachtsausstellung. Über den Rand seiner Brille sieht er mit hochgezogenen Augenbrauen verschmitzt auf den erleichtert lächelnden Mann vor ihm. Geradeso wie ein Professor, der zu seinem Doktoranden sagt: „Na, sehen Sie, das haben wir doch gut hingekriegt. Passen Sie aber nächstes Mal besser auf. Meine Kontonummer finden Sie übrigens im hinteren Buchdeckel.“

Der verschmitzt lächelnde Mann ist Professor! Es ist der Historiker Gerhard Hirschfeld, der Leiter der Kommission zur Überprüfung der Ausstellung „Vernichtungskrieg. Verbrechen der Wehrmacht 1941–1944“. Und der andere, der in diesem Augenblick wie ein erlöster Doktorand aussieht, der ist auch schon Professor, Professor Jan Philipp Reemtsma. In dessen Hamburger Institut für Sozialforschung entstand die in erfreulicher Weise sehr umstrittene Wehrmachtsausstellung. Eine Kommission wurde einberufen, Vorwürfen rechtslastiger Kritiker nachzugehen, und hat nun ihren Bericht übergeben. Zeugnis davon legt dieses Foto ab.

Was zwischen den beiden Männern im Moment ihres Händeschüttelns gesagt wurde, wissen wir nicht, denn das Zitat ist gar kein Zitat, sondern von mir frei erfunden. Wir wissen aber den Anlass der Begegnung und können darum vermuten, dass Reemtsma so etwas wie „vielen Dank“ sagte und Hirschfeld sich im Kamerablitzlicht der Öffentlichkeit auf ein verschmitztes Lächeln beschränkte.

Man sieht also, Fotos zu deuten, ist gar nicht so schwierig, wenn man weiß, in welchem Krieg sie geschossen wurden. Der Krieg, um den es in der (inzwischen wohl weltweit bekannten) Wehrmachtsausstellung geht, ist vor über 55 Jahren beendet worden, hat aber vor wenigen Wochen ein neues Opfer gefordert: Hannes Heer, den ehemaligen Leiter der Ausstellung.

Was macht ihn zum Opfer? Noch nicht sein Rausschmiss aus dem Institut durch Reemtsma und damit aus der Leitung der Ausstellung, die nicht zuletzt auch sein Werk ist. Das ist tragisch und belegt das Ende einer gescheiterten Männerbeziehung vor dem Hintergrund der Väter-Täter. Zum Opfer macht ihn etwas anderes: die Schuldzuweisung. Ihm wird mit anderen Worten vorgeworfen, emotional und deshalb wissenschaftlich unsauber gearbeitet zu haben.

Die Historiker-Kommission sieht in Hannes Heer den die Nazi-Täter emotional Verfolgenden. Durch ihren Vorwurf vom „staatsanwaltschaftlichen Gestus“ macht die Kommission ihn zum Täter, und zwar zu einem Täter an den eigentlichen Tätern. Das macht ihn zum Opfer.

Gefragt ist jetzt die kühle Wissenschaft, schon bietet sich „die Theorie und Methodologie der Geschichtswissenschaft“ an und hat selbst noch kaum damit begonnen, in ihren eigenen NS-Reihen nachzuforschen.

Dem Heer-Team wird bei der Dokumentation und Kommentierung der Massenerschießungen und der Pogrome von der Reemtsma-Kommission vorgeworfen, man habe „durch die Zusammenstellung von Bildsequenzen das Geschehen visuell ‚dramatisiert‘“. So schlimm war es nämlich gar nicht.

Heer und sein Team hätten mit den Fotos „die eigentliche Botschaft der Ausstellung vermitteln“ wollen, also „die Massenhaftigkeit der darzustellenden Vorgänge“. Ist das etwa historisch falsch? Die Kommission sagt, die Fotos könnten „allenfalls Belege für Einzelaktionen liefern“, und liefert damit Argumentationshilfe für die Vertreter der Auschwitz-Lüge: Ein Foto von schätzungsweise 300 in Gaskammern ermordeter Menschen würde demnach eine Hochrechnung auf hunderttausende, auf Millionen nicht rechtfertigen.

Die Kommission empfiehlt: „Die Ausstellung sollte ihr Material präsentieren, aber die Schlussfolgerungen so weit wie möglich den Besuchern überlassen.“ Gibt es Grund zur Annahme, dass so etwas funktioniert? Es gibt vielmehr Gründe, vom Gegenteil auszugehen.

Diese Ausstellung war bislang die wahrhaftigste Umsetzung dessen, was in Deutschland unter Vergangenheitsbewältigung meist missverstanden wird. Eine monströse Dokumentation – monströs wie die Schuld der Väter-Generation, um die es geht.

Von 1.433 Fotos hätten „weniger als 20“ nichts mit den Verbrechen der Wehrmacht zu tun, hat die Kommission festgestellt. Eine lässliche Fehlerquote, sollte man meinen, bei so vielen Dokumenten. Und wegen keines dieser „weniger als 20“ Fotos muss die deutsche Geschichte neu geschrieben oder müsste die Ausstellung neu konzipiert werden.

Die Ausstellung ist eine monströse Dokumentation – monströs wie die Schuld der Vätergeneration

Reemtsma hatte nicht zuletzt wegen der Kritik eines polnischen Historikers, dessen Antikommunismus von Antisemitismus kaum zu trennen ist, die Ausstellung im November 1999 offiziell zurückgezogen. Er hat damit dem, was die Ausstellung bereits in der deutschen Gesellschaft bewirkt hatte, an Emotionen, an Polarisierung, auch an persönlichem Mut, eigene Ängste zu überwinden und bei Eltern oder Großeltern nachzuforschen, Schaden zugefügt. Womöglich aus einem Anspruch heraus, dem es um lupenreine Unbescholtenheit geht. Gerade bei diesem Thema. Die Bedenklichkeit solchen Strebens ist bekannt, die verfolgende Potenz, die ihr womöglich innewohnt, ebenfalls.

Die Massenhaftigkeit der auch durch Wehrmachtssoldaten ausgeführten Ermordungen ist – wie ich den Kommissionsbericht verstehe – einerseits die unbewiesene Behauptung eines manipulativ verfolgenden Hannes Heer, andererseits aber auch historische Tatsache. Wie geht das zusammen? Man frage die Kommission und ihren Auftraggeber. Für sie scheint es kein Widerspruch zu sein. Also ist die Wehrmachtsausstellung durch die Kommission rehabilitiert worden. Nicht aber Hannes Heer.

Durch diesen Widerspruch bleibt ein Raum erhalten, nicht definierbar, in dem die Unschuld der Väter weiterhin vermutet werden darf und nicht etwa ihre Schuld vermutet werden muss. Raum für die Komplizenschaft zwischen den Generationen.

Es gibt keine Tat ohne Schuld, keine Bewusstmachung von Vergangenem ohne Anerkennung von Schuld. Nur so ist der Verstrickung mit der Elterngeneration zu entwachsen. Hannah Arendt hat sich immer darüber geärgert, dass es „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ hieß, anstatt gegen die Menschheit. Die systematische Willkür, mit der die europäische Judenheit von Deutschland ausgehend ermordet wurde, sollte nach Arendts Meinung die Menschheit als Verbrechen an sich selbst erkennen, nicht an ihrer Menschlichkeit. Denn was ist alles menschlich?