Schwarze Perlen und weiße Diamanten

Er ist ein geheimnisvolles Wesen, der Trüffel. Um den aromatischen Pilz ranken sich Mythen und Legenden (Teil 1)

Der Mäandertrüffel ist der Pilz des Jahres 2001. Der weißlich-bräunliche Pilz mit dem wissenschaftlichen Namen Choiromyces meandriformis wurde soeben von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie ausgewählt. Der Mäandertrüffel ist essbar und wohlschmeckend, reicht in der Qualität aber nicht an die gesuchten und sehr teuren weißen und schwarzen Trüffel aus Italien und Frankreich heran. Der Stuttgarter Wunderkoch Vincent Klink beschreibt aus diesem Anlass seine kulinarischen Erfahrungen mit dem edelsten aller Pilze.

Als Kochlehrling, lange bevor ich einen Trüffel zu Gesicht bekam, ahnte ich schon heftig, dass diese Pilze etwas Besonderes sein müssten. Als argloser Bub vom Land brauchte ich eine ganze Weile, bis ich dahinterkam, dass mein Küchenchef, den man sich durchaus als Küchenbullen vorstellen darf, die Dinger meinte, die er in der Hose trug. Von wirklichen Trüffeln hatte auch er keine Ahnung. Es kursierten nur Legenden, und die echten Erddiamanten blieben für mich lange Jahre bestenfalls Vision. Eine Annäherung erlebte ich im Umgang mit schwarzem Speisegummi, als ich in der Kalten Küche mein Unwesen trieb. Kaltarbeiter, in der französischen Fachsprache Gardemangers genannt, sind in der feinen Küche für Schauplatten, Hummersalate, Krebstürme und Pasteten verantwortlich. Die dafür verwendete Garniermasse war in veritabel aufgemotzten Döschen abgepackt. Der Gummitrüffel war Trüffelersatz, den man zu tollsten Mustern ausschneiden konnte. Dieser optische Scheiß kann heute auf Gastronomieleistungsschauen noch immer bewundert werden.

Mein erster echter Trüffel kam als große Woge über mich, als ich mit meinem ersten verdienten Geld zu Bocuse ins Lyonnais fuhr. Die Herren Ober beachteten mich weiter nicht, denn man sah mir den deutschen Bauerntölpel schon von weitem an. Die Routiniers im Frack vermuteten zu Recht, dass ich keine Ahnung von den hier üblichen Trinkgeldern hätte. So bemerkten sie auch nicht meinen Drehschwindel, hervorgerufen durch das vorsichtige Lüpfen der Blätterteighaube, die eine Löwenkopfterrine mit Trüffelsuppe behütete: Ein olfaktorischer Orkan, der mich fast um den Verstand brachte, bohrte sich in meine Nase. Übertreibe ich? Eigentlich nicht, eher umgekehrt, denn bis heute hat sich die Wucht dieses Erlebnisses in meinen Ganglien festgefressen.

Aus diesem Grund gehöre ich auch zur fanatischen Fraktion derer, die von Trüffeln fantasieren und immer den Schwarzen Perigordtrüffel meinen. In Deutschland – Italophilie ist seit Jahrhunderten in großer Mode –, begeistern sich mittlerweile Unzählige für Trüffeln, was auch mit allgemeinem Wohlstand zusammenhängt. Viele Jungtrüffelianer meinen aber immer den Weißen Trüffel, der im Spätherbst in jedem besseren Ristorante zwischen Konstanz und Monstranz über Nudeln und sonstiges italienisches Allerlei gehobelt wird. Ganz klar, er duftet herrlich, dieser Tuber magnatum, wenn es einer ist. Sein Name kommt nicht von ungefähr, denn er kann pfundschwer werden und ist auf alle Fälle ein Magnat strengen Wohlgeruchs. Doch riechen nicht alle Weißen Trüffeln gleich stark. Je größer diese cremefarbene Knolle, umso besser. Aber auch der Reifezustand ist nicht ohne Belang. Ein Teil davon geht auf dem Transport nach Deutschland verlustig. Großzügig verströmt er gleich nach dem Ausbuddeln sein Aroma. Was strömt, das versiegt auch irgendwann einmal. Daher sind die oft vierzehn Tage alten Pilze in deutschen Restaurants nur noch auf halbem Speed. Im Piemont, tagesfrisch, sind die Dinger gefürchtet. In öffentlichen Verkehrsmitteln nicht geduldet, denn Busfahrer, Kondukteur et al könnten dem Wahnsinn verfallen.

Trüffeln gedeihen im Dunklen – es gibt ungefähr dreißig verschiedene Varietäten, bis hin zu den kartoffelriechenden Furunkeln des Weserberglandes (Choriomyches maeandriformis). Nicht nur diese Placebos, alle diese Knollen gedeihen unter der Erdoberfläche. Hören können sie nicht, die Trüffeln, obwohl manchmal ohrenähnliche Extremitäten aus der Wonnekugel treiben, die bis zu einem Meter tief im kalkhaltigen Boden rumort. Die Römer nannten sie Knolle, also Tuber. Eine nichtswürdige Bezeichnung. Wenn der Pilz auf den Namen Tuber melanosperum hört, kann er sich über diese Blasphemie sogar schwarz ärgern. Das tut er bevorzugt in der Provençe, der Gegend um Perigord und in Umbrien um die Trüffelkapitale Norcia.

Der Weiße Trüffel dagegen heißt Tuber magnatum pico (Oktober-Dezember). Diese Bezeichnung sollte man sich angewöhnen, denn es gibt noch den völlig harmlosen gleich aussehenden Frühlingstrüffeln, den Bianchetti (Tuber albidum) (Januar–März). Der Magnatum also wächst auf ton- und kalkhaltigen Böden im Piemontesischen, in der Gegend um Monferrato und Alba. Bemerkenswert ist, dass dieses Terroir reichlich Silizium aufweist. Außerdem schmarotzt er am Wurzelwerk von Pappel, Linde und Weide. Eichentrüffeln sind jedoch die edelsten. Sie haben fast dunkelbraune Färbung und höheres spezifisches Gewicht und lieben kompakte, trockene Böden. Wie alle Trüffeln sind sie keineswegs eine Knolle, sondern eigentlich ein eng gewickelter dünner Schlauch, meterlang gefüllt mit Sporen. Er hätte es schwer, sich als Leptosom der Länge nach unsichtbar zu machen. Also bevorzugt er es, sich selbst zu umarmen und zu einem festgefügten Knäuel zu vermengen. Er riecht derart betörend, dass die Sau glaubt, der Eber wäre über ihr. Den Hunden geht es genauso, deshalb sind nur Hündinnen im Einsatz. Dieser mysteriöse Duft wurde vom Gastrophilosophen Brillat Savarin folgendermaßen beschrieben: „Wer Trüffel sagt, spricht ein Wort aus, das bei dem Geschlecht, welches Röcke trägt, erotische und feinschmeckerische Gefühle erregt und bei dem Geschlecht, welches Bärte trägt, erotische Erinnerungen lebendig macht.“ VINCENT KLINK

Fortsetzung morgen