Wenig Moos für die Scholle

Die Höhe des Ausgleichs orientiert sich am Verkehrswert von 1990. Seither ist der Wert mancher Grundstücke explodiert. Das ist ungerecht, so die Kläger

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Zehn Jahre Kampf waren umsonst. Die Alteigentümer von Grundstücken und Fabriken in Ostdeutschland müssen sich mit ihren zum Teil mickrigen Entschädigungen abfinden. Dies entschied gestern der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts. Dabei stand die Entscheidung auf Messers Schneide. Im entscheidenden Punkt lautete das Stimmenverhältnis in Karlsruhe vier zu vier. Und bei Stimmengleichheit ist eine Verfassungsbeschwerde abgelehnt.

Zur Prüfung stand ein Gesetz der Kohl-Regierung aus dem Jahr 1994. Darin wurde definiert, wie die Alteigentümer entschädigt werden, deren Grundstück nicht zurückgegeben werden kann (siehe Kasten). Die Regelungen in diesem so genannten Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG) waren für die einst Enteigneten nicht gerade günstig: So beginnt die Auszahlung der Entschädigung erst im Jahre 2004. Bis dahin erhalten sie nur eine (handelbare) Schuldverschreibung. Die Höhe des Ausgleichs orientiert sich am Verkehrswert von 1990. Seither ist der Wert mancher Grundstücke aber geradezu explodiert.

Ungleichbehandlung

Außerdem werden die Ansprüche mit steigendem Wert gekürzt. So gibt es zwar bei Verlusten bis zu 20.000 Mark eine volle Entschädigung, doch bei Ansprüchen von mehr als 3 Millionen Mark werden nur noch 5 (!) Prozent des Verkehrswertes ausbezahlt. Die Kläger fühlten sich durch diese Regelung stark benachteiligt. Sie verglichen sich dabei mit denen, die ihr enteignetes Grundstück – und damit den vollen Wert – nach der Wende zurückbekamen. Diese Ungleichbehandlung sollte ursprünglich dadurch vermieden werden, dass auf zurückgegebene Grundstücke eine Vermögensabgabe erhoben wird. Auf Druck der FDP wurde dann aber auf diese „Belastung der Opfer zugunsten anderer Opfer“ verzichtet. So entstand eine doch beträchtliche „Wertschere“.

Die hiergegen gerichteten Verfassungsbeschwerden hatten jedoch keinen Erfolg. Dabei war sich das Gericht noch einig, dass ein voller Wertersatz vom Grundgesetz nicht gefordert wird. Die Kläger könnten sich nicht auf das Eigentumsgrundrecht berufen, weil die Enteignung ja schon zu Besatzungs- oder zu DDR-Zeiten stattgefunden habe. Ihr Entschädigungsanspruch gründe sich nur auf das Sozialstaatsprinzip, wonach der Staat helfen muss, wenn „mehr oder weniger zufällig nur einzelne Bürger oder bestimmte Gruppen“ von schweren Lasten betroffen sind.

Umstritten war im Gericht aber vor allem die starke Kürzung der Ansprüche bei hohen Werten. Die linken Richter akzeptierten die von der Kohl-Regierung getroffene Regelung, weil sie nicht gegen das „Willkürverbot“ des Grundgesetzes verstoße. Eine höhere Entschädigung wäre wegen der „Endlichkeit der Haushaltsmittel“ nämlich zu Lasten des Aufbaus Ost gegangen, so ihr Argument. Außerdem stellten sie in Rechnung, dass es in der DDR auch Einbußen an Freiheit, Gesundheit oder Karrierechancen gab, die überhaupt nicht entschädigt wurden. Sie folgten damit fast vollständig der Argumentation, die der Gießener Rechtsprofessor Brun-Otto Bryde als Vertreter der Bundesregierung vorgetragen hatte.

Einbußen an Freiheit

Die eher konservativen Richter trugen diese Argumentation nur bei hohen Ansprüchen ab einer halben Million Mark mit. Für Entschädigungsforderungen zwischen 90.000 und 500.000 Mark (bei denen es vor allem um den Verlust von Ein- oder Zweifamilienhäusern geht) wollten sie lediglich eine Kürzung auf 50 Prozent akzeptieren. Ein Abschlag von bis zu 80 Prozent sei hier nicht zu rechtfertigen. Hätten sie sich mit ihrer Position durchgesetzt, hätte das für die (jetzt rot-grüne) Bundesregierung wohl eine Belastung im Milliardenbereich verursacht.

Auf solche Belastungen hatten die Alteigentümer eigentlich gehofft. Denn wenn der Staat sich eine höhere Entschädigung nicht leisten kann, dann muss er, so die Logik, zumindest die Grundstücke, die jetzt noch in seiner Hand liegen, zurückgegeben. Dieser Plan ist endgültig gescheitert.

Vielmehr billigte das Verfassungsgericht auch das ostdeutsche Flächenerwerbsprogramm, wonach das ostdeutsche Staatseigentum an landwirtschaftlichen und Forstflächen auch den jetzigen Pächtern zu günstigen Preisen angeboten wird. Die Alteigentümer reklamierten hier ein Vorkaufsrecht für sich, mit dem vor allem LPG-Nachfolgebetriebe ausgebootet worden wären.

Die ostdeutschen Agrarbetriebe sind also neben dem Bundeshaushalt die eigentlichen Sieger des gestrigen Tages. Eine generelle Rückgabe der zwischen 1945 und 1949 enteigneten Grundstücke hatte das Bundesverfassungsgericht bereits zweimal – 1991 und 1995 – abgelehnt.