Schröder vom Schöngeist verlassen

Michael Naumann (SPD) will kein Kulturstaatsminister mehr sein, sondern geht als Herausgeber zur „Zeit“. Sein Nachfolger heißt Julian Nida-Rümelin

BERLIN taz ■ Kulturstaatsminister Michael Naumann geht. Der Mann, der Gerhard Schröders Regierung einen Hauch von Champagner und intellektuellem Glanz verlieh, lässt den Kanzler mit seinen Ministern allein zurück. Der ehemalige Journalist und Verleger Michael Naumann zieht von der rauen Hauptstadt ins gediegene Hamburg, um sich dort wieder den schönen Seiten des Lebens zuzuwenden. Er wird Mitherausgeber der Wochenzeitung Die Zeit.

Gerhard Schröder verliert damit innerhalb einer Woche seinen zweiten Minister. Vorigen Donnerstag musste bereits Verkehrsminister Reinhard Klimmt seinen Hut nehmen. Auch wenn die Umstände des Abgangs der beiden Minister nicht zu vergleichen sind – Naumann tritt freiwillig zurück, Klimmt ging unter politischem Druck –, so ist doch die Art und Weise des Abschieds von Naumann wenig schmeichelhaft für den Bundeskanzler.

Schröder ist vom Bekanntwerden der Nachricht am Dienstag offenbar überrascht worden. Gestern weilte er den ganzen Tag über bei der EU in Brüssel und konnte oder wollte nicht bestätigen, dass er sich mit Naumann auf einen Wechsel zur Zeit geeinigt hat. Seine stellvertretende Regierungssprecherin ließ Schröder in Berlin sogar noch dementieren, dass Naumann aus dem Amt scheide. Sie wisse nichts von einem Rücktritt, sagte die Sprecherin, kündigte jedoch für den heutigen Donnerstagmorgen eine gemeinsame Pressekonferenz von Schröder und Naumann an. Worüber sich beide äußern werden, wollte sie ebenfalls nicht sagen. Der Rückzug von Naumann als Kulturstaatsminister wurde der taz aus Koalitionskreisen bestätigt. Die Fraktionsspitze der Grünen jedoch war bis gestern Nachmittag von Schröder nicht über einen bevorstehenden Wechsel im Kabinett informiert worden. Die Grünen betrachteten die ganze Angelegenheit als „Sache des Kanzlers“. Dabei steht auch schon der Nachfolger Naumanns als Staatsminister für Kultur fest: der Philosophieprofessor und Exleistungsschwimmer Julian Nida-Rümelin. Das SPD-Mitglied Nida-Rümelin war zuletzt Kulturreferent in München. Während der Bundeskanzler noch dementierte, äußerte der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Dieter Wiefelspütz, gegenüber der taz schon Verständnis für Naumanns Rückzug. Herausgeber bei der Zeit zu werden sei eine „Versuchung, der man nicht widerstehen kann“. Mit Schröders Entschluss, sofort einen Nachfolger zu präsentieren, finde ein „kontrollierter Übergang“ statt. Damit signalisiere der Kanzler, dass ihm das Amt des Staatsministers für Kultur wichtig sei, so Wiefelspütz.

Die SPD-Politikerin Elke Leonhard, die im Sommer dieses Jahres nach wiederholtem Streit mit Naumann den Vorsitz im Kulturausschuss des Bundestages niedergelegt hatte, nannte es „bedenklich, dass der Minister ein so wichtiges Amt so schnell aufgibt“. Ob das Amt mit Naumanns Abgang geschwächt wird, könne man erst in einem halben Jahr abschätzen, so Leonhard. Trotz aller berechtigten Kritik an Naumann müsse man sagen, dass mit ihm ein „ungewöhnlicher Charakter“ gehe, der das Gewicht der Kulturpolitik in der Bundesregierung gestärkt habe.

Ein Opfer des Wechsels von Naumann an die Spitze der Zeit ist deren Chefredakteur Roger de Weck. Wie die Zeit-Eigentümerin, die Stuttgarter Verlagsgruppe Holtzbrinck, gestern offiziell mitteilte, gibt de Weck Anfang des nächsten Jahres seinen Posten auf. Was der gebürtige Schweizer und Kosmopolit de Weck im Anschluss tun wird, war gestern noch nicht bekannt.

Zugleich bestätigte Holtzbrinck, dass Gespräche mit Naumann „über dessen Mitwirkung als Mitherausgeber“ des Blattes kurz vor dem Abschluss stünden. Herausgeber der Zeit sind bisher Marion Gräfin Dönhoff, Exkanzler Helmut Schmidt und Josef Joffe. JENS KÖNIG/SEVERIN WEILAND

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