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tatort und ich IIHanne ist schuld

Ist Karin Anselm schuld an meiner Homosexualität? Diese Vermutung drängt sich mir in der Retrospektive zwingend auf.

Als sie von 1981 bis 1988 als Kommissarin Hanne Wiegand beim Südwestfunk ihren Dienst versah, steckte ich in der blühendsten Pubertät. Selbstverständlich „ging“ ich zu jenem Zeitpunkt mit Mädchen, probierte so dies und das aus.

Aber ist es nicht merkwürdig, so denke ich heute, dass sich ein heranwachsender Mann an dieser Frau (übrigens der zweiten „Tatort“-Kommissarin überhaupt) nicht satt sehen konnte – und sich – jaja – mit ihr identifizieren wollte?! Mit einer Frau, die ihren Fällen die Trümmerhaufen gescheiterter Beziehungen zusammenkehren musste, selber zwei Folgen lang ein (selbstredend) unglückliches Verhältnis mit einem verheirateten Mann hatte. Die sich im Kino „Die Dinge des Lebens“ anschaute, um sich selber nur noch tiefer in den Strudel unerfüllter Sehnsüchte reißen zu lassen?

Genauso wird es sein, dachte ich damals und litt mit: Eifersucht, Selbstzweifel, Hass, Melancholie, Trauer – von all dem hatte ich zu diesem Zeitpunkt nur eine schwache Ahnung, aber Hanne Wiegand in ihrem Trenchcoat wusste Bescheid; kannte die Zerstörungskraft, die hinter aller Begierde liegt.

Politische, soziale, oder gar rassistische Aspekte, wie sie mittlerweile ja in fast jedem „Tatort“ vorkommen, spielten in ihren Fällen noch keine Rolle. Das Herz ist eben eine miese Gegend. Und niemand wusste das besser als sie.

Einzig in ihrem letzten Tatort „Ausgeklinkt“ ging es um etwas Anderes, um miese Medizin-Machenschaften. Aber diesen Fall konnte sie nicht recht zu Ende bringen, stand zuletzt mit leeren Händen und keinen Beweisen da. Hanne Wiegand quittierte den Dienst. Und ich blieb zurück mit meinen verwirrten Gefühlen und Ängsten.

Wie gerne hätte ich erfahren, was aus ihr geworden ist. Hoffentlich hat sie ihren Frieden mit der Welt gemacht. Geteiltes Leid ist halbes Leid, Hanne.

THORSTEN PILZ

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