: Schröder in Aktion: Tiermehl verboten
Industrie und Landwirte sind überrascht. Folge des Verbots: Mehr Sojaimport und teureres Fleisch
BERLIN taz ■ Plötzlich geht alles rasend schnell: Voraussichtlich schon ab Montag soll die Verfütterung von Tiermehl in Deutschland verboten sein. Das gab gestern Kanzler Schröder bekannt. Außerdem werde er sich für ein EU-weites Verrot der Tiermehlfütterung einsetzen. Landwirtschaftsminister Karlheinz Funke (SPD) zieht mit, obwohl er sich bislang immer gegen ein solches Verbot gewehrt hat – das Tiermehl in Deutschland sei sicher.
Nach Angaben seines Ministeriums soll der Paragraph 24 a in der Viehverwertungsverordnung geändert werden. Das dort festgeschriebene Verbot der Tiermehlverfütterung an Wiederkäuer soll „auf alle landwirtschaftlichen Nutztiere“ ausgedehnt werden. Haus-, Zoo- und Labortiere wären demnach nicht von dem Verbot betroffen.
Die neue Entwicklung traf die Futtermittelindustrie unvorbereitet. Sie hatte anscheinend den Entscheidungsdruck nach dem Vorpreschen Frankreichs unterschätzt. Das Nachbarland hatte nach vielen neuen BSE-Fällen bei französischen Rindern das Verfüttern von Tiermehl generell verboten. Die Franzosen sitzen nun auf etwa 870.000 Tonnen Mehl pro Jahr. Ein Teil wird eingelagert, das meiste soll in Zementöfen und Müllanlagen verbrannt werden.
In Deutschland wusste gestern noch niemand, wie all die wichtigen Details letztendlich geregelt werden. Es fallen etwa 350.000 Tonnen Tiermehl jährlich an. Der Deutsche Verband Tiernahrung sagte gestern, etwa 50.000 Tonnen davon stammten aus verendeten Tieren. Diese dürfen laut einem EU-Beschluss ab dem 1. März 2001 sowieso nicht mehr verfüttert werden. Sie gehen schon bisher meist in den Export nach Osteuropa. „Wichtig ist eine Differenzierung“, so gestern Herbert Grote, Hauptgeschäftsführer des Verbandes Tiernahrung: „Von Tierärzten in Schlachthöfen begutachtete und als genusstauglich fürden Menschen eingestufte Ware muss auch weiterhin zur Verfügung bleiben.“ Es handelt sich dabei vor allem um etwa 250.000 Tonnen pro Jahr.
Ob es zu einem solchen beschränkten Verbot kommt, ist aber noch unklar. Ein Problem ist die Trennung von importiertem und heimischen Fleischmehl. Außerdem wird tiermehlhaltiges und -freies Futtermittel meist in der gleichen Fabrik und in den gleichen Anlagen verarbeitet. Deshalb finden sich in Futtermittel für Wiederkäuer noch immer nennenswerte Rückstände von Tiermehl.
Was weder die Fleischmehlindustrie noch die Politik beantworten kann: Wie soll die große Menge an Proteinen ersetzt werden, die durch das Tiermehlverbot aus dem landwirtschaftlichen Nahrungskreislauf entnommen würde? „Frankreich hat auch Fischmehl zum Verfüttern verboten, obwohl das eine wichtige Ersatzkomponente wäre“, klagte Grote gestern. Der Deutsche Bauernverband rechnet bei einem völligen Verfütterungsverbot mit Mehrkosten für die Landwirte von etwa 100 Millionen Mark im Jahr.
Ersatz für das tierische Eiweiß müsste aus Pflanzen kommen: Soja aus den USA und Südamerika, aber auch heimische Saaten wie Raps, Erbsen oder Ackerbohnen. Auch synthetische Aminosäuren wie Lysin sind denkbar. Allerdings: Alle Ersatzstoffe sind teurer als Fleischmehl. Und das wird auch auf die Preise von Eiern, Geflügel- oder Schweinefleisch durchschlagen.
Für die EU verschärfen sich durch wahrscheinlich erhöhte Sojaimporte zwei Probleme: Schon bisher sichern die Europäer etwa 20 Prozent ihres Protein-Bedarfs durch Sojaimporte. Der Anteil würde größer. Und außerdem würden damit die Importschleusen für Gensoja geöffnet. Denn Soja ist schon jetzt knapp. Die Preise für Soja an der Warenbörse von Chicago sind seit dem Frankreichbeschluss zum Tiermehl schon gestiegen.
REINER METZGER
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen