„Spaß, Kräftemessen oder Machtausübung?“

Schon Jungen halten sich für wertvoller als Mädchen, meint die Soziologin Anita Heiliger. Und sie erkennen nicht, wann sie Grenzen übertreten

taz: Sie haben in einer Münchner Schule nach Gewalt gegen Mädchen gefragt. Was empfinden denn die SchülerInnen als solche Gewalt?

Anita Heiliger: Jungen haben immer wieder angegeben, dass man Mädchen nicht schlagen darf, aber über sie herziehen, das schon. Das Ziel des Projekts war, ihnen klar zu machen, dass auch das schon eine Art Gewalt ist.

„Das ist doch nur Spaß“, würde ich da als Junge sagen.

Aber für die Mädchen ist es kein Spaß. Sie haben ganz klar gesagt, dass es sie verletzt, wenn sie etwa „Hure“, „Schlampe“ oder „Nutte“ genannt werden. Interessanterweise haben viele der Jungen gesagt, dass sie wollen, dass jemand in solchen Situationen eingreift. Weil sie einfach nicht erkennen, wann sie eine Grenze überschreiten. Wenn ihnen das gesagt wird, dann fangen sie auch an, darüber nachzudenken.

Sie stellen einen Zusammenhang her zwischen Jungen, die auf dem Schulhof Mädchen piesacken, und Männern, die Frauen schlagen. Ist das nicht etwas übertrieben?

Wer das für übertrieben hält, leugnet, wie überhaupt die Bereitschaft zur Gewaltausübung gegenüber Frauen entsteht. Die fällt ja nicht vom Himmel. Dahinter steckt das Gefühl: Ich bin mehr wert als sie. Wenn Erwachsene sehen, dass Jungen Mädchen ärgern, und nichts tun, dann signalisieren sie die Erlaubnis dazu, Mädchen abzuwerten.

Viele Lehrer sagen aber: Jungs sind nun mal aggressiver als Mädchen, die leben das eben etwas rauer aus.

Das ist der Versuch, Gewalttätigkeit der Jungen auf Biologie zurückzuführen und sie darüber zu rechtfertigen. Damit wird aber nicht gesehen, warum die Jungen das tun. Es ist notwendig, genau hinzusehen: Ist es Spaß, ein Kräftemessen, oder wird da Macht über einen Schwächeren ausgeübt?

Ein Junge, der Schwäche zugibt, wird doch in der Schule gnadenlos gemobbt. Wie sollen die Lehrer denn argumentieren?

In unserem Projekt haben wir ausprobiert, ein entsprechendes Klima herzustellen: Über Mackertum wurde geredet, Jungen wurden dazu ermutigt, Schwächen zu zeigen. Und es zeigte sich, dass es auch ein Bedürfnis danach gibt: Es ist nämlich ziemlich ungemütlich, so allein mit diesen riesigen Anforderungen an Härte zu sein. Interessanterweise hatten die LehrerInnen eher Probleme mit dem Projekt als die Jungen.

Sind die nicht tatsächlich überfordert mit so einer sozialpädagogischen Aufgabe?

Ja, sie müssten fortgebildet werden. Sie müssten nämlich selbst erst mal gucken, warum sie sich von den Mackern so einschüchtern lassen, dass sie ihnen keine Grenzen setzen. Viele Männer sind selbst gefangen in dem Mackerbild. „Wir müssen doch die Jungen erst mal stärken“, sagen manche, „wir können die doch nicht mit Täterschaft konfrontieren.“ Da frage ich: Aber warum denn nicht? Ich glaube einfach, dass sie sich selber nicht damit konfrontieren wollen.

Aber wenn der „neue“ Junge aus der Schule herauskommt, trifft er auf eine Arbeitswelt, die genau die Eigenschaften von ihm fordert, die er vorher abgelegt hat.

Solange das System so bruchlos patriarchal ist, ist das tatsächlich ein Problem. Deshalb rufe ich ja gerade die Männer dazu auf, da auszusteigen: Ihr habt die Verantwortung dafür, ob diese Gesellschaft gewalttätig ist oder eben nicht.

INTERVIEW: HEIDE OESTREICH