Algeriens Angst vor dem Ramadan

Mit seinem Aussöhnungskurs gegenüber dem islamistischen Untergrund hat Algeriens Präsident Bouteflika nur mäßigen Erfolg. Im November haben mutmaßliche bewaffnete Islamisten erstmals seit über einem Jahr wieder in Algier zugeschlagen

von REINER WANDLER

Der heute beginnende muslimische Fastenmonat Ramadan sollte in Algerien nach 1992 der erste in Frieden werden. Das hatte Präsident Abdelasis Bouteflika versprochen, als er sein Projekt der nationalen Aussöhnung vorstellte. Doch einige radikale Islamisten blieben auch dann noch in den Bergen, als das Gesetz zur Zivilen Eintracht, dass je nach Delikt Amnestie oder Strafminderung versprach, im Januar auslief. Auch die inoffizielle Verlängerung der Amnestie brachte keinen Erfolg. Im Vorfeld des jetzigen Ramadan haben die bewaffneten Gruppen ihre Aktivitäten verstärkt. Algerien wartet weiter vergeblich auf das Ende des nationalen Dramas, das bisher über 150.000 Menschenleben kostete.

„Die islamistischen Gruppen haben sich vom Land in die Städte verlagert, um für einen Ramadan in Feuer und Blut zu sorgen“, prophezeite vor wenigen Tagen die Tageszeitung Le Soir d'Algérie. Große Teile der Bevölkerung teilen diese Befürchtung. Allein im letzten Viertel Jahr starben über eintausend Menschen durch die Hand der Radikalen. Massaker und Straßenkontrollen bewaffneter Islamisten häufen sich nicht nur in abgelegenen Regionen, sondern auch vor den Toren der Hauptstadt.

In der östlich von Algier gelegenen Berberregion Kabylei ist Hassan Hattab mit seiner „Salafistischen Gruppe für Predigt und Kampf“ (GSPC) aktiv. Die Bande, die dieses Jahr über 2.500 Menschen getötet haben soll, spaltete sich von den „Bewaffneten Islamischen Gruppen“ (GIA) ab. Zwar verloren beiden Organisationen in Folge der „Zivilen Eintracht“ einen Teil ihrer Truppen. Doch ihr harter Kern bekämpft weiter alle „Ungläubigen“. Algeriens Presse schätzt die Untergrundkämpfer noch immer auf mehrere tausend.

Selbst in Algier meldeten sich die bewaffneten Islamisten zurück. Anfang November wurde beim ersten Attentat in der Hauptstadt seit über einem Jahr ein Polizist niedergeschossen. Die Presse machte die GSPC verantwortlich. Die Gruppe hätte für Anschläge während des Ramadan eigens ein Netz aufgebaut. Viele Bewohner Algiers fühlen sich an die Schrecken des Fastenmonates 1996 erinnert, als die GIA mit Autobomben auf den Boulevards und vor Kinos Terror und Angst säten.

Die Regierung veröffentlicht seit Monaten keine amtlichen Informationen über Gewalttaten mehr. Zu offensichtlich ist der Widerspruch zum vom Armeeoberbefehlshaber Mohamed Lamari bereits im Frühjahr verkündete „Sieg über den Terrorismus“. Bei den Massakern, die sich damals auf entlegene Dörfer beschränkten, würde es sich es sich nur um „Aktionen von Banditen“ handeln, beteuerte der General.

Doch vergangene Woche verlegte die Armee ein großes Aufgebot in das Ouarsines-Gebirge 250 Kilometer westlich der Hauptstadt. Dort, wo in den ersten Tagen des Ramadan vor drei Jahren über tausend Menschen von Islamisten umgebracht wurden, sollen sich weiter zahlreiche Unterschlüpfe der GIA befinden.

Stimmten im September 1999 bei einem Referendum über 98 Prozent für Bouteflikas Politik der Nationale Aussöhnung, so glauben heute laut einer Umfrage der Zeitung Liberté nur noch etwas mehr als die Hälfte der Algerier, dass seine Amtsführung eine bessere Zukunft bringen wird. Belastend sind auch die sozialen Nöte. Ein Viertel der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Wen wundert es da, dass 47,4 Prozent an ein soziale Explosion glauben? Ein schlechtes Omen, waren doch einst die sozialen Verhältnisse ein Grund für den Aufstieg der Islamisten.

Ausgeblieben ist auch die Demokratisierung. Die Hälfte der Algerier beteuert: „Seit Bouteflika im Amt ist, gibt es keine Opposition mehr.“ Die Behörden lehnten die Zulassung der islamistischen „Bewegung für Treue und Gerechtigkeit“ (Wafa) endgültig ab. Die Polizei räumte die Parteibüros. Wafa-Chef Ahmed Taleb Ibrahimi war während des Wahlkampfes im April 1999 der einzige Kandidat, der Bouteflika hätte gefährlich werden können. Tausende hatten damals dem 68-jährigen Mediziner zugejubelt.

Wafa wurde als ideale Organisation gesehen, um den Mitgliedern der seit ihrem Wahlsieg 1992 verbotenen Islamischen Heilsfront (FIS) eine neue, kontrollierbare Heimat zu geben. So ist es auch kein Zufall, dass kurz nach dem Wafa-Verbot der FIS-Sprecher in Algier, Abdelkader Boukhakham, die Wiederzulassung seiner Partei forderte. Dies sei vereinbart worden, als der bewaffnete Arm der FIS, die Armee des Islamischen Heils (AIS), zum Jahresanfang die Waffen niederlegte. Berichten zufolge sollen in den letzten Monaten zahlreiche amnestierte AIS-Kämpfer in den Untergrund zurückgekehrt sein.