Vertriebene Hamborger Jungs

An die jüdischen Volkssänger „Gebrüder Wolf“ erinnert heute ein rappender Urenkel  ■ Von Alexander Diehl

Kennen Sie die Gebrüder Wolf? „Von Hein Köllisch redet alle Welt“, sagt Jens Huckeriede, „dabei war der im Vergleich ein kleines Licht“. Seit Mitte der 90er Jahre beschäftigt sich der Filmemacher mit den vielleicht bedeutendsten Hamburger „Volks-“ und Varietémusikern der 1910er-30er Jahre. 1995 verwendete er den Text der musikalischen Hamburgensie „An de Eck steiht'n Jung mit'm Tüdelband“ für eine Installation im früheren jüdischen Viertel Altonas. Denn das Lied, in einer frühen Fassung 1911 von Ludwig Wolf geschrieben, bezeugt die Verschränkung von (nachträglich separierten) Traditionslinien „jüdischer“ und „hamburgischer“ Popularkultur. Derzeit arbeitet Huckeriede an einem Dokumentarfilm über Leben und Schicksal der „Hamborger Jungs“.

1895 gründeten die jüdischen Schlachtergesellensöhne Ludwig, Leopold und James Isaac ein Gesangsterzett. Das Wolf-Trio erlangte mit Platt- und hochdeutschen Humoresken Bekanntheit auch über die Stadtgrenzen hinaus, auch als nach James' Weggang 1906 aus dem Trio das Wolf-Duo geworden war. 1911/12 brachte den inzwischen umbenannten Gebrüdern Wolf den großen Durchbruch: Als Fietje und Tetje bespielten sie allabendlich Hamburger Bühnen, reisten nach Berlin und durch halb Europa. Die beiden typisierten Hafenarbeitercharaktere, bereits zuvor verschiedentlich durch Hamburgs Varietés kursierend, galten mancherorts als so bedeutsam wie Hummel oder die Zitronenjette.

Die Wolfs schickten die Vertreter jener hamburgtypischen Berufsgruppe in der gleichnamigen Erfolgsrevue „Rund um die Alster“. Dabei griffen sie auf modernste Aufführungsformen zurück – im Umland gedrehte Kurzfilme wurden ins Programm eingebaut und kommentiert. 1912 entstand ein ganzer Film mit den Komödianten, Glückspilze, von dem derzeit indes keine Kopie auffindbar ist.

1926 starb Leopold Wolf, Nachfolger im Duett wurde sein Sohn James, es gab weitere Schallplatteneinspielungen und Aufführungen. Ab 1933 verschlechterte sich die Situation durch zunehmende Arbeitsbeschränkungen; nach einjährigem Aufenthalt im KZ Sachsenhausen floh James 1939 mit seinem jüngeren Bruder Donat nach Shanghai. Dort wie später in den USA traten beide auch als Gebrüder Wolf auf. James (aus der ersten Triobesetzung) starb 1943 im KZ Theresienstadt, wo auch Ludwig kurz inhaftiert war, der seiner „arischen“ Frau wegen in Hamburg überleben konnte. Auch er trat später vereinzelt wieder auf, unter anderem mit Hein Köllischs Tochter Minna. Sein Nachlass ging 1971 in den Besitz des Museums für Hamburgische Geschichte über, wo er dem „Hamburgischen Volksliedarchiv“ angeschlossen ist.

Mit Dan Wolf kommt jetzt der Urenkel Ludwig Wolfs aus San Francisco erstmals nach Hamburg. Der 26-jährige Schauspieler, Theaterautor und – nicht zuletzt – Rapper versteht den Besuch, zu dem ihn heute Nachmittag Hamburgs Kultursenatorin Weiss im Museum für Hamburgische Geschichte offiziell willkommen heißen wird, als Teil eines eigenen familiengeschichtlichen Projekts: „Es ist nie wirklich über die Zeit geredet worden. Als ich sehr klein war und die alten Fotos von Ludwig und Leopold sah, sagte man mir, das seien irgendwelche deutschen Musikanten. 1977, als meine kleine Schwes-ter geboren wurde, begann Ämein GroßvaterÜ Donat einen Brief an sie und mich zu schreiben, den sein Tod 1983 beendete: hunderte maschinenbeschriebene Seiten über sein Leben und die Gebrüder Wolf. Jetzt hier zu sein, ist schon eine Art Nachhausekommen. Es geht um das Überbrücken einer Lücke.“

Mitgebracht hat er seine Band Felonious, mit der er zwei Konzerte mit lokaler HipHop-Unterstützung geben wird. Zu erwarten stehen da handgemacht-jazziger HipHop mit gelegentlichen Überraschungen, dazu Texte wider Szene- und andere Segregationen, wie sie im Genre häufig sind. Dan: „Wir heißen Felonious Ädt.: verbrecherischÜ, weil wir uns in manchen Augen am HipHop vergehen.“ Auch wird er auf andere hiesige MusikerInnen treffen, die in Huckeriedes Film mit dem umfangreichen Repertoire der Gebrüder Wolf zu tun haben werden (unter anderem Die Goldenen Zitronen, Fink, Ich schwitze nie).

Felonius: heute, 20.30 Uhr, Betty Ford Klinik + Sa, 2.12., 21 Uhr, Honigfabrik