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Hoffen auf ein bisschen Sex

Im Café „Pssst“ passiert „Unsittliches“: Männer können mit Frauen an der Bar sitzen oder mit ihnen aufs Zimmer gehen. Nur: Viele Männer finden das Wissen darum prickelnder als den Sex selber

von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA

Die Frauen wollen Sex. Die Männer wollen was trinken und quatschen und – vielleicht Sex. So ist die Konstellation im Café „Pssst“, dem wohl bekanntesten „bordellartigen Betrieb“ in Deutschland. Jeden Tag ab 18 Uhr wird dort „Rundumverwöhnung in angenehmer Atmosphäre zum Pauschalpreis von 200 Mark“ geboten.

„Sehnen Sie sich nach einer tollen Frau mit Herz, die Spaß am Sex hat, gerne schmust, aber auch gute Gespräche schätzt und Sie auf Wunsch begleitet?“, heißt es im Internet. Und: „In diesem Preis enthalten sind viele Sinnesfreuden wie Liebe (speziell französisch), Sauna- und Whirlpoolvergnügen und auf Wunsch eine Wohlfühlmassage.“

Wer keinen ISDN-Anschluss hat, erkennt das Café an den fünf Buchstaben, die seit drei Jahren in einem kleinen Fenster in der Brandenburgischen Straße im biederen Wilmersdorf blinken, gelegen zwischen dem oberen Ende des noblen Kurfürstendamms und dem Grunewald. Sie leuchten in grüner Farbe, die bekanntermaßen für Hoffnung steht.

Die Gäste, die die Bar betreten, die so klein ist, dass kaum ein Gespräch unter vier Ohren bleibt, sind alle beseelt vom Prinzip Hoffnung. Die Frauen, die auf eigene Rechnung in dem Café arbeiten, hoffen auf Geld. Nach Zahlung von 60 Mark Miete an die Chefin für eins der sieben Zimmer bleibt ihnen noch genug, um ihr Gehalt als Bäckereiverkäuferin, Ärztin oder Medienfachfrau aufzubessern oder das Studium zu finanzieren. Die Männer hingegen hoffen auf eine nette Unterhaltung bei ein paar Gläsern Bier oder Wein zu durchaus zivilen Preisen in dem Bewusstsein, dass sie nicht zu sündhaft teurem Sekt animiert oder von Zuhältern bedrängt werden und dass der Abend in einem Wasserbett enden kann.

Ein gut aussehender 49-jähriger Werbefachmann, der seit fünf Jahren alleine lebt, war aus ebendiesen Gründen schon etwa 15 Mal im „Pssst“. Nur bei drei Besuchen ging er auf eins der Zimmer, die über einen Hinterhof zu erreichen sind, wo Handys und Pinkeln verboten ist. Die 200 Mark hat er immer an die gleiche Frau gezahlt. „Eine Germanistikstudentin aus Frankfurt“, wie er sagt. „Ob das stimmt, weiß ich nicht“, fügt er hinzu. Der Mann mit dem Schnauzbart und den graumelierten Haaren, der auch nach zwei Stunden den Mantel mit dem hochgeschlagenen Kragen nicht ablegt, lächelt. Denn eigentlich sind ihm die Fakten egal. Er findet die Frau sympathisch und hat das Gefühl, das beruhe auf Gegenseitigkeit. Dass es „keine Alternative“ zum „Pssst“ gibt – also noch andere Bars „ohne billige Anmachsituation“, findet er schade. Denn: „Man muss anerkennen, dass die Gesellschaft das braucht.“

Doch weil zur Gesellschaft auch Behörden wie das bezirkliche Ordnungsamt gehören, ist es mit der offiziellen Anerkennung schwer. Das Amt ließ vor einem Jahr das Café schließen mit der Begründung, dass die dortige Kontaktanbahnung sittenwidrig sei. Dass die Polizei voll des Lobes ist wegen der fehlenden kriminellen Begleiterscheinungen, die es sonst im Rotlichtmilieu gibt, interessierte das Amt nicht. Doch schon wenige Monate später, im Mai dieses Jahres, konnte die Chefin Felicitas Weigmann per einstweiliger Anordnung wieder öffnen. Ein erster Erfolg für die gelernte Krankenschwester, die mittlerweile weit über die Berliner Stadtgrenzen hinaus bekannt ist. Am kommenden Freitag will nun das Berliner Verwaltungsgericht darüber entscheiden, ob der Widerruf der Gaststättenerlaubnis wegen der Kontaktanbahnung rechtens war. Um herauszufinden, ob sich in den vergangenen Jahrzehnten die „sozialethische Bewertung der Prostitution“ in unserer Gesellschaft gewandelt hat, hat das Gericht fünfzig Stellungnahmen von Institutionen, Körperschaften und Interessenverbänden eingeholt. Bislang gilt die Rechtsprechung, dass dadurch der Unsittlichkeit Vorschub geleistet werde, weil durch Prostitution der Intimbereich der Frau in für sie entwürdigender Weise vermarktet und die Triebhaftigkeit der Freier ausgebeutet werde.

Solche Worte sorgen im „Pssst“, das mit seiner kleinen Bar, dem Fernseher in der Ecke, der kleinen Discokugel an der Decke, den schwarzen Barhockern und den Spiegeln und Bildern dezenter nackter Frauen an den Wänden auf den ersten Blick wie ein „normales“ Café aussieht, für Gelächter oder Empörung. Zwei Männer, Mitte vierzig, von fülliger Statur und seit etwa zwanzig Jahren im Bund der Ehe, wollen von Trieben nichts wissen. „Wir wollen in erster Linie reden und gemütlich ein Bier in lockerer Atmosphäre trinken“, sagt einer von ihnen. Gehen die Freunde zusammen ins „Pssst“, erzählen sie ihren Frauen eine Geschichte, die gar nicht mal gelogen ist. „Wir gehen ein Bier trinken.“ Gerstensaft als Alibi zur „Verlängerung der Ehe“. Außerdem suchten sie Sex „nicht auf Teufel komm raus“, betonen sie unisono.

Eine der etwa 20 Frauen, die mehr oder weniger regelmäßig im „Pssst“ arbeiten, sitzt nur einen knappen Meter von den beiden entfernt. Sie ist 31 Jahre alt und dezent in Schwarz gekleidet. Um den Hals trägt sie Perlen, auf den Lippen Dunkelrot. Seit zehn Jahren arbeitet sie als Prostituierte – „in Nobelhotels und Billigpuffs“ – seit August im „Pssst“. Doch die gelernte Reiseverkehrsfrau, die derzeit eine Umschulung zur Bürokommunikationskauffrau macht, geht noch in ein anderes Etablissement. „Auf einem Standbein kann man nicht stehen“, so die Begründung. Während sie früher an einem Abend tausend Mark verdiente, müsse sie heute dafür „länger arbeiten“, klagt sie. Mittlerweile sei sie froh über 500 Mark an einem Abend. Das Café „Pssst“ hält sie für „eine Superidee“. Der Grund: „Hier kann ich kommen und gehen, wie ich will, und kriege sofort ein Zimmer.“

Felicitas Weigmann verlangt von den Frauen, die im „Pssst“ arbeiten, Einfühlungsvermögen und Lebenserfahrung. Und: „Die Frauen dürfen nicht nuttig sein, sie müssen Köpfchen haben und mit den Männern umgehen können.“ Nur so könne das Café seine „wichtige Sozialfunktion“ erfüllen.

In der Tat haben viele Männer ein großes Bedürfnis zu reden – über Probleme im ehelichen Schlafzimmer mit ihrer Frau nach einer Entbindung, über das tolle „Preis-Leistungs-Verhältnis“, dass sie nie für Sex zahlen würden oder dass sie doch auch sonst – für ein Essen, für einen Ring – die Rechnung begleichen.

Nur die Frauen scheinen oftmals wenig Interesse an solchen Gesprächen zu haben. Sitzen sie stundenlang an der Bar, verdienen sie nichts. Solchen Frauen wirft Felicitas Weigmann „Einfältigkeit“ vor. „Man muss auch mal an der Bar sitzen, um zu verdienen“, sagt sie, „das gehört dazu.“ Und: „Wenn sie viel rumsitzen, liegt es an den Frauen selbst.“

Das stimmt nicht immer. Ein 38-jähriger verheirateter Jurist, der sich als Christian vorstellt und gegen 2 Uhr morgens neben einer rothaarigen Frau an der Bar sitzt, will zwar Sex. So wie er die gut aussehende junge Frau anguckt, steht das außer Zweifel. Doch vorher besteht er darauf, mit leicht schwerer Zunge zu erzählen: Wie er im Fernsehen bei „Wahre Liebe“ vom „Pssst“ erfahren hat und wie er einmal zusammen mit seiner Frau da war. „Nach zwanzig Minuten war sie wieder draußen.“ Er genießt es, den Frauen mit einem dicken Bündel Geldscheine den Mund wässrig zu machen – und sie zappeln zu lassen. Dass es nicht um ihn geht, ist ihm klar. Aber: „Es trägt dich ein bisschen. Nicht weit. Es trägt dich so weit, wie du es an einem solchen Abend haben willst.“ Während die rothaarige Frau genervt auf den Bartresen trommelt, bestellt er ein neues Bier. Von wegen, Männer wollen nur das Eine.

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