Auf den Kopf gestellt

■ Nicolaus Schafhausen berichtete in der Weserburg vom spannenden Versuch, seinen Frankfurter Kunstverein für MigrantInnen zu öffnen

Über Kultur zu reden bedeutet heutzutage, über Geld zu sprechen. Weit wichtiger als die Frage, was Kultur leisten kann, ist inzwischen jene, wieviel Kultur wir uns überhaupt noch leisten können. Vollends deprimierend wird es, wenn ein Gemeinwesen über die inhaltlichen Grundsätze seiner Kulturförderpraxis Rechenschaft abzulegen gedenkt. In Bremen etwa heißt so ein Rechenschaftsbericht dann vollmundig „Kulturentwicklungsplan“. Ein erster Entwurf macht derzeit die Runde, und was steht darin? Kaum mehr als die Feststellung, Kultur sei irgendwie wichtig, irgendwie teuer, woraus irgendwie ein Problem erwachse, was es unbedingt zu lösen gilt. Irgendwie.

Irgendwie ist es nicht diese Debatte, nach der man sich in der Hoffnung auf eine profunde Analyse des Sinns und Zwecks von Kulturproduktion heute sehnsüchtigst verzehrt. Wonach es sich aber durchaus zu verzehren lohnte, zeigt das Beispiel Frankfurt. Dort gibt es einen Kunstverein, den die Stadt jährlich mit einer Million Mark bezuschusst. Der Direktor dieses 170 Jahre alten, von kunstbeflissenen BürgerInnen gegründeten Hauses heißt seit zwei Jahren Nicolaus Schafhausen.

Zwei Merkmale zeichnen ihn besonders aus: Wie der Direktor einer in Würde verstaubten Kunstinstitution sieht der jetzt von der grünen Bürgerschaftsfraktion zum Vortrag ins Museum Weserburg eingeladene junge Mann nicht im entferntesten aus. Und: Schafhausen fragt sich und seine 2.000 Kunstvereinsmitglieder, wodurch es sich eigentlich rechtfertigt, so viel Geld für den Kunstverein mit seinen jährlich 30.000 BesucherInnen auszugeben.

Kein knauseriger Frankfurter Finanzkämmerer zwingt ihn dazu, keine spontan ausgebrochene Kunstallergie in der Mitgliedschaft stürzt Schafhausen in derartige Sinnkrisen. Schafhausens Antrieb ist zunächst demographischer Natur: Der AusländerInnenanteil in Frankfurt liegt bei 35 Prozent, bei den unter 30-Jährigen ist jeder Zweite Migrant (in Bremen jeder Fünfte), bei den Mitgliedern und BesucherInnen des Kunstvereins aber sucht man all diese Menschen zumeist vergeblich. Wenn aber Migration und Globalisierung die Welt auf den Kopf stellen, können Kunsteinrichtungen nicht ungerührt bequem auf den Füßen stehen bleiben, denkt Schafhausen jenseits der Demographie nun grundsätzlich weiter – und erklärt in öffentlichen Vorträgen, wie denn der Kopfstand eines Kunstvereins aussehen könnte.

Auf die üblichen Werkpräsentationen einzelner zeitgenössischer KünstlerInnen werden die FrankfurterInnen in den kommenden Jahren verzichten müssen. Stattdessen macht sich in gemeinsam mit Universitäten und ethnologischen Forschungseinrichtungen konzipierten Gruppenausstellungen das schmutzig-pulsierende Leben breit im Kunstverein.

Vieles will Schafhausen verstehen: Warum schenkt der Nigerianer seiner Angebeteten zur Hochzeit ein Bett, das aussieht wie ein Mercedes? Weshalb dekoriert die papua-neuguineanische Hausfrau ihren heimischen Wohnzimmerschrank mit blumigen deutschen Emailletöpfen? Wo ist unsere Hauptstadt? Was bedeutet Heimat? Und was sagt mir der junge albanische Flüchtling, der seine Mutter mit ihrer verdrängten Vergangenheit konfrontiert, als sie im Arm des Diktators Enver Hodscha in naiver (Un)Schuld vom Kommunismus schwärmt?

Schafhausen glaubt, dass die Zukunft Menschen gehört, die solche Fragen zu beantworten wissen: MigrantInnen mit hybriden Biografien, wo alles zueinander kommt und die Frage nach der deutschen Leitkultur mit anachronistisch noch freundlich umschrieben ist. Kunst, sagt er, orientiere sich derzeit neu, weg von den kunsttheoretischen Debatten der Vergangenheit, hin zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen. Genau das müsse sich spiegeln in einer Kunstinstitution, der an Zeitgenossenschaft gelegen ist. – Genau das aber, befürchten manche, instrumentalisiere den genuin unpolitischen Kunstbetrieb, verwandele ein Museum in problematischer Weise zu einer Mischung aus Volkshochschule und Marktplatz.

Ach Gottchen, es gibt schlimmeres, was einem Kunstverein passieren könnte. Und es gibt kaum Besseres als derartig anregende Veranstaltungen – in einer Zeit, wo das Finanzressort glaubt, beantworten zu können, wieviel Kultur ein Gemeinwesen nötig hat. Franco Zotta