Mit Haitis Elend nichts zu tun

Ohne Wahlkampf wurde der ehemalige Volksheld Aristide noch einmal zum Präsidenten gewählt

So leicht hat kaum einmal ein Kandidat eine Präsidentschaftswahl gewonnen. Gerade zwei kurze öffentliche Auftritte und eine eben so kurze Radioansprache. Mehr war da nicht. Und trotzdem wurde Jean-Bertrand Aristide (47) am Sonntag zum Präsidenten Haitis gewählt.

Aristide hatte keinen Wahlkampf nötig. Betrügereien sorgten dafür, dass er schon vorher als Sieger feststand. Doch sein Abtauchen war nicht reine Bequemlichkeit. Es zeugt von taktischem Geschick. Schließlich hat seine eigene Lavalas-Partei das bitterarme karibische Land in den vergangenen fünf Jahren noch tiefer ins Elend geritten.

Aristide hielt sich heraus, um weiterhin als der Volksheld verehrt werden zu können, zu dem er in den Achtzigerjahren geworden war. Der Armenpriester, der schon gegen die Duvalier-Diktatur gewettert hatte. Der Mann, der eine Volksbewegung der Verelendeten gegen die nachfolgenden Militärherrscher angeführt hatte. Der 1990 mit überwältigender Mehrheit zum Präsidenten gewählt und sieben Monate später in einem blutigen Putsch gestürzt worden war. Der 1994 nach einer Militärintervention der USA noch einmal für ein Jahr im Amt war. Genug, um seinen Anhängern wieder Hoffnung zu geben. Aber zu wenig, um zu beweisen, ob er denn auch als Staatsmann taugen könnte.

Weil eine direkte Wiederwahl in Haiti verboten ist, wurde sein ehemaliger Premierminister René Preval sein Nachfolger. Manche sagen, Preval sei Aristides politischer Zwillingsbruder, andere, er sei seine Marionette. Seine Amtszeit, in der sich Aristide stets im Hintergrund hielt, lässt für die kommenden fünf Jahre nichts Gutes ahnen. Preval löste das Parlament auf, ohne Neuwahlen auszuschreiben, und regierte zwei Jahre lang per Dekret. Als dann doch im Mai und Juni dieses Jahres gewählt wurde, liess er für Aristide bequemste Mehrheiten zusammen betrügen. Er führte damit Haiti in die politische Isolation. Mehr als eine Milliarde Mark dringend benötigter und bereits genehmigter Hilfsgelder liegen auf Eis.

Dort werden sie wohl auch bleiben. Aristide wird diesmal kaum die internationale Anerkennung bekommen, die er als Hoffnungsträger 1990 erhalten hatte.

Aristide aber geht es gut. Mit seiner Frau und seinen zwei Kindern lebt er in einer Villa in einem noblen Viertel der Hauptstadt Port-au-Prince. In seiner einzigen Wahlkampfrede predigte er wie einst als Armenpriester. „Zu viel Elend, zu viel Unsicherheit, zu viel Blutvergießen. Genug ist genug!“ Gerade so, als hätte er mit dem Elend der vergangenen Jahre nichts zu tun.

TONI KEPPELER