Vermischtes zu einem Torso

Heute berät der Bundesrat über die Homoehe. Die Reform entsetzt Konservative, lässt Linksradikale rufmorden. Die Ränder der Gesellschaft haben Orientierungsprobleme

Eben dies befürchten Konservative: Dass Homosexualität jetzt zum Kanon des Normalen zählen wird

Heute im Bundesrat, vor drei Wochen im Bundestag, demnächst vor dem Bundesverfassungsgericht: Die „Homoehe“ bot viel Anlass für öffentliche Reaktion. Dabei zeigte sich, wie sehr sich alle, die nicht zur gesellschaftlichen Mitte gehören, neu zu orientieren haben. Die Konservativen sind ohnehin irritiert – aber auch jene Teile der Homobewegung, die bis heute daran festhalten, dass eine glückliche Homosexualität innerhalb einer bürgerlich-demokratischen Gesellschaft unvorstellbar ist.

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung ließ sich gar nicht erst auf eine inhaltliche Diskussion ein. Sie schrieb stattdessen über einen „grundgesetzwidrigen Zustand“, weil die rot-grüne Bundestagsmehrheit ein Gesetz zur „homosexuellen Lebenspartnerschaft durchpeitschte“. Der FAZ-Kommentator mokierte sich über den – legitimen und legalen – Kniff der Wahlsieger von 1998, die nicht zustimmungspflichtigen Teile des Reformwerks zur Hauptsache zu erklären und den Rest zur Disposition des Bundesrats zu stellen.

Was sich in dieser erregten Betrachtung andeutet – die tiefe Missbilligung eines zu Kohlzeiten üblichen Procederes: Gesetze wenigstens zu einem Teil über die parlamentarischen Hürden zu bringen –, ist ein kaum verdeckter Hass auf den Inhalt der Reform selbst: Homosexuelle Paare – wenn sie es denn wollen – rechtlich zu schützen. Das Wort „durchpeitschte“ verrät den Berichterstatter als Projektor seiner eigenen Ambitionen: Am liebsten hätte er wohl per wütendem Peitschenknall die Regierungsfraktion von ihrem Tun abgehalten.

Die Welt am Sonntag war da ehrlicher, wenn auch in der Wortwahl der FAZ verwandt: „Noch nie wurde in einer solchen Grundsatzfrage ein Gesetz so brutal, so trickreich und so dilettantisch durchgepeitscht.“ Als ob in der Bundesrepublik nicht seit zehn Jahren über die rechtliche Entdiskriminierung Homosexueller debattiert würde – wobei ehrlicherweise gesagt werden muss, dass das bürgerlich-konservative Lager nach dem Vogel-Strauß-Prinzip diese Debatten zu ignorieren pflegte. Kein Wunder, dass es sich jetzt zornig gibt, dass die Zeitläufte derweil an diesen Milieus vorbeigegangen sind.

Wie auch die Welt (die Überschrift als Mitleidsformel: „Schily wird überstimmt“) trösten sich die genannten Blätter mit der Aussicht, dass das Gesetz in Karlsruhe für grundgesetzwidrig gehalten wird. Die CSU flankiert diese, ihre letzte Rettung schon einmal mit Sätzen wie jenen, dass die Homoehe ein „verheerendes Signal für politische Beliebigkeit“ sei. Das ist Theaterdonner vor dem Auftritt vor dem Verfassungsgericht, aber nicht einmal ein besonders vernichtender. Krawall sozusagen der spießbürgerlichen Sorte: Was man immer verachtete, kann doch nicht plötzlich ins Belieben gestellt sein. Aber man kennt das von der Union, erinnert sei nur an die Diskussion um den Abtreibungsparagraphen: Erst wenn ein höchstes Gericht die Weihen verleiht, schließt man mit der Realität Frieden.

Nichts als einen „Torso“ erkennt die PDS-Abgeordnete Christina Schenk in dem Gesetz, weil der zweite Teil – der die gegenseitigen Unterhaltspflichten steuerlich absetzbar machen soll – politisch nicht durchsetzbar sei. Davon abgesehen, dass sie das Gesetz ohnehin nie wollte, sondern immer eines favorisierte, das für alle Sichnahestehenden gelten sollte, ist das eine unpolitische Bewertung: Bekommen wir nicht alles, wollen wir nichts. Radikalität, die nichts kostet und insofern chronisch folgenlos bleiben muss; versteckt hinter einem Credo vom Utopischen, das sich auf die wirkliche Welt nicht einlassen will.

Im Gegenteil unradikal äußert sich der Buchautor Werner Hinzpeter („Schöne schwule Welt“) auf der Leserbriefseite des Homomagazins Outline, der meint, „uns Schwulen“ gehe es „sehr viel besser, als die meisten von uns wahrhaben wollen“. Weiteres Engagement lohne sich nicht. Ein Carsten Flöter macht schon einen ganzen Frühling? Diese Mentalität erinnert an die frühen Achtzigerjahre, als viele Schwule und Lesben Angst vor der Homobewegung hatten. Energie steckten sie in Friedens- und sonstige Bewegung. Begründet wurde dies – leninistisch angehaucht im Sinne der These von den Haupt- und Nebenwidersprüchen – stets mit dem Hinweis, dass es Wichtigeres und Schlimmeres gäbe als Diskriminierung von Homosexuellen.

Rufmörderisch („Blitzsieg“) kommentierte das „wissenschaftlich-humanitäre komitee“ – eine „sexualpolitische Assoziation“, die linksradikal zu nennen keiner Beleidigung gleichkommt – das „Sondergesetz“ zur Homoehe. Es sei nichts als eine „offizielle ‚Rosa Liste‘“, also eine Kartei, mit der früher von Staats wegen Homosexuelle erkannt und verfolgt wurden. Offenbar ist für manche Homosexuelle ein demokratischer Staat nur als ein verfolgender wahrzunehmen. Das darf erstens als Denunziation der Gesetzgeber und zweitens als gemütvolle Paranoia seitens dieser Interpreten genommen werden.

Mit der Reform wurde die Homosexualität vom Beigeschmack des Nichtgesellschaftsfähigen befreit

Schön ironisch nimmt das Berliner Homomagazin Siegessäule das Gesetz, dessen zweite Hälfte mutmaßlich im Bundesrat keine Zustimmung finden wird, aufs Korn: „Toll! Endlich Unterhaltspflichten!“ heißt es dort. Das ist zwar nicht ganz korrekt, denn schon jetzt können Sozialämter recherchieren, ob zwei Menschen in einer WG nicht doch ein Paar sind, was die Minderung der „Stütze“ zur Folge hätte. Dennoch erkennt die Illustrierte, dass „der einen Freud’, der anderen Leid“ sein wird: Was vom Bundesrat nicht angefochten werden kann, könnte HomogattInnen teuer kommen. Auffällig nur, dass jeder Hinweis auf den mindestens symbolischen Erfolg fehlt: dass Homosexualität mit diesem Reformstück vom Beigeschmack des Nichtgesellschaftsfähigen befreit wurde.

Die Kölner Monatszeitung Queer anerkennt immerhin, dass „das jetzt verabschiedete Rumpfgesetz“ doch „besser als keines“ ist. Mit Blick auf die Niederlande, wo demnächst die Ehe für Homosexuelle geöffnet wird, schreibt Micha Schulze, „Geduld und Hartnäckigkeit“ würden sich auszahlen. Mit anderen Worten: Der Kampf geht weiter. Diese Meinung teilt das Gros der Teilnehmer an diversen Internetforen, dem der Union, der Sozialdemokraten, der Grünen oder eben von Queer. Wenige sprechen vom „Selbstbetrug“ angesichts der „Halbheit“, die meisten aber vom „eigentlich ganz ‚Selbstverständlichen‘“, das jetzt passiere, und vom „Beginn von etwas, was jetzt endgültig nicht mehr aufhaltbar ist“.

Eben dies befürchten Konservative: dass Homosexualität zum Kanon des Normalen zählen wird. Immerhin hatten sie sich, wenn auch mühevoll, damit arrangiert, dass in der Welt des Ästhetischen hin und wieder Homosexuelle ins Bühnenlicht treten, wenn auch zum Preis, dass sie sich zu Clowns machen, gut für das Varieté, aber nicht für die gute Stube. Nun werden sie zur Trauung laden können, ohne dass der Staat sie per Peitschenknall daran hindert. Im Gegenteil: Sie sollen dürfen. Das müssen Bürgerlich-Konservative erst verkraften. Das ist zu respektieren. JAN FEDDERSEN