Schon Tuscheln ist verdächtig

In den USA drängen inzwischen auch Internet-Spezialisten auf gewerkschaftliche Organisierung. Den Unternehmen passt das nicht in den Kram. So wehrt sich der Online-Buchhändler Amazon.com mit: Kündigung, Verlagerung und Denunziation

aus Washington PETER TAUTFEST

Scott Allan Buss bezeichnet sich selbst als den typischen Antigewerkschaftler: „Ich bin rechts der Mitte und habe sehr konservative Auffassungen“, sagt er. „Als vor anderthalb Jahren das erste Mal von gewerkschaftlicher Organisierung bei Amazon.com die Rede war, war ich völlig dagegen.“

Buss wohnt nördlich von Seattle in dem Örtchen Mukilteo und pendelt mit dem Modem zur Arbeit – die hunderte von Anfragen, die Besteller täglich per E-Mail stellen, kann er von zu Hause aus beantworten: „Wo bleibt meine Sendung? Kann ich meine Bestellung noch ändern? Kann ich die Bücher wieder abbestellen?“ Heute tritt Buss vehement für eine Gewerkschaft beim Internetbücherversand ein: „Alles, was gegen Gewerkschaft sprach, hat sich ins Gegenteil verkehrt“, sagt er heute. Erst war es die Flexibilität der Arbeitszeit: „Ich konnte arbeiten, wann und wo ich wollte. Jetzt habe ich rigide Arbeitszeitvorgaben.“ Zudem hätten die Amazon-Beschäftigten immer in Kauf genommen, dass die Bezahlung mit 11 bis 15 Dollar – mit denen man im Raum Seattle kaum auskommen kann – sehr niedrig ist. Schließlich habe es Optionen auf die hochfliegenden Amazon.com-Aktien gegeben. „Doch seit die absacken, zieht das nicht mehr.“

„Amazon.com-Aktien sind zu Lotteriescheinen geworden, statt eine Versicherung auf die Zukunft zu sein“, sagt auch Marcus Courtney von der Gruppe WashTech, die als Unterorganisation der Gewerkschaft Communications Workers of America Hightechfirmen in und um Seattle zu organisieren sucht. Unter den Kundendienstmitarbeitern bei Amazon.com griff die Idee, als deutlich wurde, dass Gehälter und Karrierechancen bei der Internetfirma mit der Expansion des Unternehmens nicht Schritt hielten. „Amazon.com hat in rasantem Tempo seine Belegschaft vergrößert, aber die hoch qualifizierten Arbeiter, die auf der internen Website die Bestellungen verfolgen und Anfragen am Telefon oder per E-Mail beantworten, hatten dann keine Aufstiegsmöglichkeiten“, sagt Courtney.

Und nicht nur das: Als es mit den Aktien bergab ging, mussten die Angestellten erleben, dass sie von einem Tag auf den anderen gefeuert werden konnten. Im Januar mussten 250 Angestellte die Firma eine halbe Stunde nach Arbeitsantritt verlassen.

Parallel dazu begann Amazon.com, Arbeit in Gegenden auszulagern, in denen Löhne niedriger sind und „Gewerkschaft“ bestenfalls ein Fremdwort ist. Computerfreaks werden jetzt in North Dakota und in West Virginia, in Indiana und in Indien angeheuert.

Anfang dieses Jahres fand sich eine Gruppe von Angestellten zusammen, die eine Gewerkschaft gründen wollten. Mitte November kamen 400 der rund 1.500 Servicemitarbeiter zusammen, um eine Plattform zu beschließen. Die Gruppe nennt sich Day2@amazon.com. Der Begriff ist eine Anspielung auf den Slogan der Firma: „Tag zwei nennen wir uns, weil Bezos (Chef und Begründer von Amazon.com) jeden Tag die Parole ausgibt: ,Heute ist der erste Tag bei uns, da können wir weder ruhen noch rasten.‘ Langsam fängt der fünfjährige ‚Day One‘ an, uns Probleme zu machen“, sagt Zach Works, Kundendienstangestellter bei Amazon.com.

Die Firma hat ziemlich rüde auf den Organisationsversuch geantwortet. Auf der internen Website werden leitende Angestellte auf die Zeichen aufmerksam gemacht, die Organisierungstätigkeit andeuten: „kleine Gruppen von Arbeitern, die zusammenstehen und schweigend auseinander gehen, wenn ein Aufseher kommt“. Andere Anzeichen seien größere Aggressivität der Angestellten, längeres Verweilen in der Kantine und auf dem Klo und schlechtere Qualität der Arbeit. Nach Auffassung von Amazon.com sind Gewerkschaften „raffgierige profitorientierte Unternehmen“, und es sei viel besser, wenn die Angestellten, die bei Amazon.com regelmäßig Teilhaber genannt werden, direkt mit der Firmenleitung verhandeln statt über eine „betriebsfremde Agentur“.

Nach US-amerikanischem Arbeitsrecht muss die Mehrheit der Angestellten unterschreiben, damit eine Gewerkschaft gebildet werden kann. Und eigentlich darf die Firma die gewerkschaftliche Betätigung nicht behindern.

Derweil sucht eine andere Gewerkschaft die ca. 5. 000 Arbeiter in den 8 Verteilungszentren im Lande zu organisieren, wo die bestellte Ware zusammengesucht, gepackt und verschickt wird. Dort sind die Arbeitsbedingungen noch weit schlechter als in Seattle.

Gewerkschaftsinitiative: Day2@Amazon.com/WashTech