Ökostrom aus Wahnsinnsrindern

von THORSTEN DENKLER

Ein Problem hat Christian Rendke nicht: In seinen Silos lagert kaum noch Tiermehl. Rendke ist Geschäftsführer der Tierkörperbeseitigungsanstalt (TBA) Priestewitz in Sachsen. 60.000 Tonnen Tierkadaver werden hier Jahr für Jahr zu 10.000 Tonnen Tiermehl verarbeitet. Produziert wird weiter, auch wenn seit Samstag das bundesweite Tiermehlverbot gilt. Rendke betont, dass der Betrieb nicht eingestellt wird: „Viele Bürger glauben, sie müssten jetzt zum Spaten greifen und ihre toten Haustiere im Garten verbuddeln.“

Bis jetzt hat Rendke für jede Tonne Tiermehl rund 500 Mark bekommen. Nach dem neuen Tiermehl-Gesetz aber ist er verantwortlich für die Entsorgung des praktisch über Nacht quasi zu Sondermüll umdeklarierten Tierfutterzusatzes. Tiermehl steht in Verdacht, die Seuche BSE zu verbreiten. „Jetzt werde ich für jede Tonne 300 bis 600 Mark für die Entsorgung ausgeben müssen“, sagt er. Wer das bezahlt? „Ich weiß es nicht.“ Auf die Verteilung der Kosten von schätzungsweise 1,8 Milliarden Mark haben sich Bund und Länder bisher nicht einigen können.

Tiermehl ins Kraftwerk?

Klar ist nur: Tiermehl darf seit Samstag nicht mehr an Schweine, Schafe und Geflügel verfüttert werden. Für Wiederkäuer ist Tiermehl schon seit 1994 per Gesetz von der Speisekarte gestrichen worden. So schnell, wie das Tiermehl-Verbot beschlossen wurde, ist inzwischen schon die erste Ausnahmeregelung erlassen worden: Futter für Kälber dürfen weiterhin tierische Fette wie Talg und Schmalz beigemengt werden. Die Fette müssen allerdings als Nahrungsmittel für den Menschen zugelassen sein.

Wohin nun mit den 700.000 Tonnen Tiermehl, die Jahr für Jahr bei den 35 deutschen Tier- und 15 Knochenmehlherstellern anfallen? Es gibt jetzt zwar ein Gesetz, das die Tiermehlverfütterung verbietet, aber keines, das die Entsorgung regelt. Der Präsident des Verbandes der Fleischindustrie meint: „Das Gesetz ist so gut wie unvollziehbar.“

Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) forscht derzeit erst einmal nach einer Möglichkeit, die Hunderttausende Tonnen Tiermehl loszuwerden, die noch bei den Futterherstellern lagern. Nur die Bauern dürfen ihre Restbestände noch ans Tier bringen. Am Mittwoch trafen sich im Landwirtschaftsministerium Vertreter der Energieunternehmen und der Zementindustrie. Jeder, der heizen kann, soll Tiermehl verfeuern, war Funkes Bitte.

Der westdeutsche Stromriese RWE prüft, ob Tiermehl in seinen Kohlekraftwerken mitverbrannt werden kann. Drei RWE-Kraftwerke seien dazu aus technischer Sicht in der Lage, sagte Konzern-Sprecherin Stephanie Schunck der taz. Tiermehl hat einen ähnlichen Brennwert wie Braunkohle. Die Verbrennung in Kohlekraftwerken hätte einen entscheidenden Vorteil. Die Temperatur in den Öfen ist mit 1.600 Grad weitaus höher als in Müllverbrennungsanlagen (MVA) mit 600 bis 800 Grad. Organischer Abfall wird bei diesen Temperaturen rückstandsfrei verbrannt. Das Hauptproblem sieht RWE in der Sicherheit. Tiermehl ist jetzt eine Art Sondermüll, die Mitarbeiter müssen entsprechend geschützt werden. „Wir müssen sehen, wie hoch der Aufwand ist“, sagt Schunck.

Tiermehl zu Biogas?

Die Hauptlast der Entsorgung aber sollen die über das Bundesgebiet verteilten Müllverbrennungsanlagen tragen. Doch die meisten MVAs haben in den Heizkesseln einen Rost, auf den der Müll geschüttet wird. Verbrennt der Abfall, fällt die Asche durch. Zurück bleibt Schlacke. Tiermehl aber ist so fein, dass es sofort durch den Rost fallen würde. In Schlewig-Holstein etwa, wo vor knapp zwei Wochen das erste deutsche BSE-Rind aufgetaucht ist, erfüllt nur eine von zwei MVA die technischen Voraussetzungen.

Peter Weiland von der Bundesforschungsanstalt für Landwirtschaft in Braunschweig hält die Verarbeitung von Tierkadavern zu Biogas für eine preiswerte Alternative. Er prognostiziert Entsorgungskosten zwischen 20 und 50 Mark pro Tonne. Aus den Tierkadavern müsste nicht mehr in einem aufwendigen Koch- und Sterilisationsverfahren Tiermehl hergestellt werden. Es reicht, die toten Tiere zu einem Fleischbrei kleinzuhäckseln. Bei der Gärung entsteht Methangas, das dann zur Stromerzeugung genutzt werden kann. Was übrig bleibt, kommt als Dünger aufs Feld. „Damit können die wertvollen Nährstoffe, die bei einer Verbrennung vernichtet werden, wieder in der Landwirtschaft eingesetzt werden“, sagt Weiland. Allerdings müssten vorher die Übertragungswege der Tierseuche BSE geklärt werden.

Tiermehl zu Biodiesel?

Großbritannien, BSE-Mutterland, hat nach den Massenschlachtungen der letzten Jahre ähnliche Probleme. Die Briten haben so viel Rindermehl angehäuft, dass eine vernünftige Entsorgung kaum noch möglich ist. Im Sommer haben sich die Bewohner eines kleinen Ortes in der nordenglischen Grafschaft Lincolnshire über den erbärmlichen Gestank beschwert, der eine Lagerhalle umwaberte. Bis zu einem halben Jahr kann in speziellen Hallen gelagert werden, dann ist das Haltbarkeitsdatum überschritten. Nur: Diese Hallen, die den Sauerstoffeintrag in das Tiermehl vermindern, sind selten. In Licolnshire faulte das Tiermehl langsam vor sich hin. In den stinkenden Tiermehlbergen fanden die Kontrolleure der britischen Umweltaufsicht tote Ratten, Mäuse und Tauben. Das gleiche Problem in Frankreich: Dort wird das Mehl zum Teil unter freiem Himmel gelagert, weil geeignete Hallen fehlen. Liegt es zu lange, erhöht sich die Temperatur im Inneren der Tiermehlberge auf bis zu 60 Grad. Dann gärt und fault es und zieht allerlei Getier an.

Der größte deutsche Abdecker, die im westfälischen Selm ansässige Saria Bio-Industries mit zwölf Anlagen in Deutschland, will in seiner TBA Malchin (Mecklenburg-Vorpommern) Tierfett jetzt zu Biodiesel weiterverarbeiten. Eine andere Idee hat die Deutsche Bundesstiftung Umwelt. Sie lässt gerade erforschen, ob Tiermehl als Schmierstoff in der Metallindustrie einsetzbar ist. Fritz Breckwedde, Generalsekretär der Stiftung, sagte: „Das Tiermehl kann so vollständig aus der Nahrungskette genommen werden.“ Ökologischer Nebeneffekt: Die Industrie wäre nicht mehr auf Schmierstoffe aus Erdöl angewiesen.

Tiermehl in den Export?

Wenn all das nicht hilft, der Tiermehlschwemme Herr zu werden, können die Tiermehl-Hersteller immer noch auf eine andere, in der Müll-Branche durchaus übliche Methode zurückgreifen: das Zeug einfach in die Dritte Welt verschiffen. Das am Freitag beschlossene Gesetz zum Verbot von Tiermehl sieht zwar ein Ausfuhrverbot vor, aber nur für Länder der Europäischen Union und EU-Vertragsstaaten.