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Der zwittrige Eisklotz lebt!

Seine Pässe sind Geistesblitze, die Tore Kunststücke: Dennis Bergkamp vom FC Arsenal will heute in der Champions League gegen Bayern München wieder den Spielball klauen. Warum? Wir verraten es

aus London RONALD RENG

Für drei Tore gibt’s den Ball, die Regel gilt noch immer im englischen Profifußball. Wer einen Hattrick schießt, darf den Spielball mit nach Hause nehmen. Es ist jedes Mal wieder ein rührender Anblick, wenn gestandene Männer, die sich für ihre Gehälter alle Wertgegenstände der Welt kaufen könnten, bei Abpfiff beflissentlich den Kunststoffball einkassieren und mit ernstem Stolz vom Platz marschieren, die Kugel unter den Arm geklemmt, wie etwa der Deutsche Jürgen Klinsmann 1998 nach sogar vier Toren beim 6:2 seiner Tottenham Hotspurs gegen den FC Wimbledon.

Für Dennis Bergkamp kam der Moment im August 1997. Beim 3:3 gegen Leicester City schoss er alle Tore für Arsenal London. In der Umkleidekabine legte Bergkamp den Ball neben sich, „und plötzlich“, erinnert sich der niederländische Linksaußen Marc Overmars, der heute für den FC Barcelona, damals aber noch für Arsenal spielte, „nahm jemand einen Stift und schrieb Dennis eine Widmung auf den Ball“. Wenig später war der ganze Ball voll mit Nachrichten. Torwart David Seaman hatte geschrieben: „Dennis, ich danke dem lieben Gott, dass Du für uns spielst. Und nicht gegen mich.“

Wenige Fußballer sind in den zurückliegenden zehn Jahren so bestaunt worden wie der Niederländer Bergkamp (31). Er ist die seltene Erscheinung, ein Zwitter zwischen Torjäger und Spielmacher. Seine Pässe sind Geistesblitze, die Tore oft Kunststücke, und seine Ballkontrolle ist für die britische Zeitschrift Inside Sport „die beste der Welt“. Umso überraschender kommt heute, vor der Champions-League-Partie zwischen Arsenal und Bayern München, die Erkenntnis, dass Bergkamps Karriere dem Ende entgegengeht, ohne dass er eine der ganz großen Trophäen gewonnen hat. „Warum nur zieht ihn der Anblick der großen Bühne derart runter?“, fragte die Londoner Sonntagszeitung The Observer, als er im Mai wie gelähmt mit Arsenal das UEFA-Cup-Finale gegen Galatasaray Istanbul verlor. Zu Hause in den Niederlanden hat seine lauwarme Vorstellung bei der Europameisterschaft 2000 die Meinung zementiert, Bergkamp fehlten einfach die letzten zwei, drei Prozent.

Ein Nachmittag in Highbury, dem Stadion des Arsenal FC, und man will davon nichts mehr hören. Am vergangenen Samstag im Ligaspiel gegen Southampton (1:0) spielte Bergkamp wieder Pässe, von denen man nicht glaubte, dass sie möglich wären. Er weiß schon, wo er den Ball hinspielen wird, bevor er ihn überhaupt hat. Fast nie passt er den Ball den Mitspielern in den Fuß, sondern in den freien Raum vor ihnen. So entstehen Torchancen, die außer ihm keiner erahnt. Allein diese Nachmittage haben ihre Regelmäßigkeit verloren. Vergangene Saison hielt Bergkamp, von jeher anfällig für Verletzungen, nur achtmal 90 Minuten in der Premier League durch und schoss nur sechs Tore. Dieses Jahr sind es erst zwei Treffer, viermal setzte Trainer Arsène Wenger Englands Fußballer des Jahres 1998 auf die Ersatzbank. Bergkamps Vertrag läuft zum Saisonende aus, Arsenal hat ihn noch nicht verlängert.

Viele Chancen zum ganz großen Triumph bekommt er nicht mehr; er weiß es selbst: „Die Krone blieb mir bislang verwehrt, deshalb hat für mich die Champions League diese Saison höchste Priorität“, sagt er. Die Partie gegen Bayern ist so gesehen schon ein persönliches Finale: Verliert Arsenal nach der 1:4-Niederlage gegen Spartak Moskau vor zwei Wochen erneut, ist ihnen das Aus in der Zwischenrunde fast sicher. Seine Karriere in der Nationalelf hat er schon mit einer Niederlage beendet, im Halbfinale der Euro 2000 gegen Italien. Seine Reisegewohnheiten machen eine Fortsetzung nach 79 Länderspielen sinnlos: Die nächste WM ist 2002 in Japan und Südkorea, da kann er schlecht hinfahren, und in ein Flugzeug setzt sich Bergkamp seit 1994 nicht mehr. „Es ist chronisch, ich kann es nicht heilen“, sagt er über seine Flugangst.

The Iceman nennen sie ihn in England. Darin steckt Bewunderung für seine eiskalte Spielweise, genauso wie Verwunderung über seine Emotionslosigkeit. Sein bleiches Gesicht mit den stahlblauen Augen bleibt meist regungslos, Körpersprache kennt er nicht, und wenn er in der Öffentlichkeit redet, klingt er jedes Mal wieder genauso zurückhaltend; unterkühlt. Es lässt sich erahnen, dass er nett und intelligent ist, aber Genaues weiß man nicht. Nur selten taut er auf, etwa wenn ihn die Gegner zu viel treten. Dann tritt er einmal kurz zurück, und zwar ungeschickt dumm und brutal, weil er gar nicht Foul spielen kann, und alle sind erschrocken: Der Eisklotz lebt! Er selbst sagt, in seiner privaten Welt sei er „anders“. Doch nicht etwa emotionaler? „Doch, ja, emotionaler.“ Aber das kann kaum jemand überprüfen, denn er verbringt seine Zeit fast ausschließlich mit seiner Frau und den zwei Kindern.

„Gott, ist Dennis Bergkamp langweilig“, schrieb der Londoner Daily Telegraph – und entschuldigte sich im nächsten Satz. Die Wörter seien durcheinander geraten. Richtig müsse es heißen: „Der langweilige Dennis Bergkamp ist Gott.“

Weitere Ansetzungen: Olympique Lyon - Spartak Moskau; Lazio Rom - Leeds United; Real Madrid - RSC Anderlecht

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