berliner szenen: Kaufhof-Theater
Alte Staatsratsgebäude, U-Bahn-Schächte, Strafanstalten oder Fernsehtürme – was ungewöhnliche Theaterlocations angeht, haben wir in dieser Stadt schon einiges durch. Und zugegeben, so ein leichtes Gefühl von Hipness schleicht sich ja auch immer mit ein, wenn man zu den wenigen hundert Menschen gehört, die rechtzeitig eine Karte, in diesem Fall für Heidi Mottls „born to shop“, ergattern konnten – im Kaufhof am Alex. Natürlich. In Zeiten der neuen Mitte wäre eine nächtliche Begegnung an der Wursttheke des KaDeWe auch nur halb so cool.
Also versammelt sich die kleine Gemeinde zu später Stunde am Personaleingang der „Galeria“. Unter Aufsicht der Kaufhof-Security werden die Besucher fürsorglich durch die eng stehenden Regale im Erdgeschoss geführt. Schon aus der Ferne locken die lieblichen Stimmen eines fünfköpfigen Kinder-Engelein-Chors zur ersten Station des Abends. In der Parfümerieabteilung erzählt eine moppelige Verkäuferin im knackigen lila Verkaufskittel mit großzügigem Einblick ins Dekolletee ihre wüste Lebensgeschichte: vom Job in einer Parfümerie mit Massagesalon und von ihrer zeitlich damit einhergehenden Mutation zum Schwein. Diese skurrile Verwandlungsstory, die Mottl für das Maxim Gorki Theater an diesem Abend in Szene gesetzt hat, entstammt dem bitterbösen Satire-Roman von Marie Darrieussecq. Ulla Werner trägt das Schicksal der tierischen Verkäuferin mit der dazugehörigen Portion Naivität in den überschminkten Augen vor. Frech gelesen, ohne allerdings Luft zu holen, bleibt das unerhört Komische der Geschichte mitunter auf der Strecke. Man schmunzelt lediglich. Der Entwicklungssprung vom Mensch zum Tier ist innerhalb der gewählten Räumlichkeiten natürlich mit einem entsprechenden Ortswechsel verbunden. Entsprechend finden sich die Besucher am Ende des Abends zwischen den rumorenden Kühltruhen der Wurstabteilung wieder, um das tragikomischen Ende dieser „Schweinerei“ zu erfahren.
Unterbrochen wird die groteske Adventslesung durch eine Show-Einlage an der Rolltreppe. Hier kommt der eigentliche Star des Abends. Im grünen Seventies-Mantel über pinkfarbenem Pailletten-Minirock steht sie im Spotlight auf der Rolltreppe, die Teenie-Kleptomanin (Eva Mende), und zieht ihre schräge Performance ab. Im perfekten Ein-Mann-Rollenspiel berichtet sie mit akribischer Genauigkeit von ihrer kürzlichen Begegnung mit einem Warenhausdetektiv, der sie letztlich nackt in eine Toilette einschließt. Locker-flockig, entsprechend der Textvorlage von Katja Lange-Müller, plappert die junge Frau, wirft sich plötzlich akrobatisch übers Geländer, lässt sich ein andermal theatralisch auf die Stufen fallen, springt blitzschnell auf und versinkt sogleich in melancholischen Gedanken. Eine gelungene Comedy-Show als ironische Momentaufnahme unserer Gesellschaft.
Wenn man dann kurz vor Mitternacht, leicht fröstelnd von der Kühle der Fleischabteilung, wieder allein vor dem Kaufhof steht, kennt man zumindest eine hippe Location mehr in Berlin. Unabhängig davon, ob dieser etwas zwiespältige Theaterabend dafür vonnöten war. PAMELA JAHN
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