Schnitzpuppen-Euphorie

■ Zwischen vehementem Bartók und volkstümlichem Schweinerock: The Transsylvanians und ihr Speedfolk

Mit osteuropäischer Roots-Musik ist es ein Schlamassel. In handelsüblicher Form erscheint sie oft als musikalische Variation von Schnitzpuppen oder anderem Kunsthandwerk, und man wäre gewillt, das Ganze mit einem Schulterzucken abzutun. Wäre da nicht immer wieder diese manische Euphorie und das anrührende Pathos, die in den schönsten Momenten das burleske Klischee zugunsten schlicht ergreifender Tanzmusik verblassen lassen.

In den letzten zehn bis 15 Jahren hat das zweite amerikanische Klezmer-Revival den Weg geebnet und gezeigt, wie es geht: Einer kunsthandwerklich festgefahrenen Gebrauchsmusik wurden Soul, Humor und Stilbewusstsein eingehaucht und damit sexy Identitätspolitik gemacht, wobei man sich um Authentizität zum Glück weniger sorgte. Ob ein ähnlicher Coup auch in Osteuropa gelingen kann, wo immerhin ähnliche Harmonien und Konzepte von manischer Melancholie in Gebrauch sind? Da gibt es die Dampfwalzentaktik einer Band wie Fanfare Ciocarlia, die mit ihrem schneller!, härter!, lauter! zwar Hallen blitzschnell kochen lassen, aber ebenso schnell auch ermüden können. Dem gegenüber stehen die feinsinnigeren Ideen von Bands wie Muszikas, die allerdings ihr Pop-Potential durch peinliche Kostümierung und andere krampfhafte Selbstethnologisierung verspielen. Und dann ist da natürlich Goran Bregovic, der einfach weiter ausholt als alle anderen. Schön ist all das immer wieder einmal, sexy meistens nicht.

Teil dieses Problems und nicht wirklich einer Lösung sind The Transsylvanians aus Berlin. Die international besetzte Band nennt ihren Ansatz „Hungarian Speedfolk“, was an britisch-irische Konzepte wie bei den Pogues oder dem Wedding Present-Ableger The Ukrainians gemahnt. Und tatsächlich ist das Polka-Schlagzeug hier immer wieder deutlich zu hören. Im Vordergrund steht bei den Transsylvanians aber nicht die bekannte Rumpelfolklore, sondern eine aufgemotzte Version von Folk-Rock. Der Rock umspielt streckenweise sehr schmeichelhaft traditionell transsylvanisch-ungarische Lieder, die vor allem vom Zusammenspiel zwischen Geige, Akkordeon und Kontrabass getragen werden. Und wer sich mit ungarischer Folklore beschäftigt, kommt wohl nicht an Béla Bartók vorbei. So finden sich auch hier, man wagt es kaum zu schreiben, „verrockte“ Bartók-Nummern. Doch so schlimm, wie es nach Rondo Veneziano klingt, ist es nicht: Die traditionellen Stücke und die Bartóks werden gleichermaßen vehement vorgebracht. Wo es nicht funktioniert, steht man dann peinlich berührt mit einer Mischung aus Volkstümlichem und Schweinerock da. Aber bei den meisten Stücken fällt der Band durchaus etwas ein, seien es Ska-Anleihen oder sogar eine funky E-Gitarre. Und damit kommt man schon vergleichsweise weit. Georg Felix Harsch

Freitag, 21 Uhr, Molotow