„Ich bin keine Person, sondern Instrument“

Ingrid Caven ist Sängerin, Schauspielerin und war mit Fassbinder verheiratet. Jetzt ist sie auch noch Romanfigur. Durch das biografische Buch ihres Lebensgefährten Jean-Jacques Schuhl wurde Ingrid Caven in Frankreich endgültig zum Kultstar. Ein Gespräch über Björk, Baader-Meinhof, die 70er und eine merkwürdige Fassbinder-Hinterlassenschaft

taz: Frau Caven, Ihr Lebensgefährte Jean-Jacques Schuhl hat über Sie den Roman „Ingrid Caven“ geschrieben. Es beginnt damit, wie Sie sich 1978 vor Ihrem legendären Konzert im Pariser Pigalle wie bei einem Ritual die Maske auflegen und langsam zu der Figur werden, die auf die Bühne geht. Wir war es für Sie, jetzt in einem Roman literarisch neu erfunden zu werden?

Ingrid Caven: Einerseits ist es natürlich sehr ehrenvoll, in einem so hervorragend geschriebenen Buch verewigt zu werden. Andererseits war es durch meine Geschichte auch wiederum etwas, was mir nicht ganz fremd war. Ich war von Kind auf gewohnt, dass überall Noten herumlagen. Der Bezug zu Gesangbüchern, zum Messbuch war sehr stark.

Wir haben in unserer Familie ständig Musik gemacht. Ich habe vorgespielt, Gedichte vorgetragen. Schrift und Noten hatten für mich seit jeher eine so starke Bedeutung, dass ich mich darüber selbst vergessen konnte. Ich kann da in eine andere Welt eingehen, eine künstlerische, auch künstliche Welt. Und diese andere Welt, die ist für mich normal, die ist eigentlich mein Leben. Ich fühle mich sehr viel mehr als Intrumentalistin, mit den Füßen, mit dem Kopf, mit allem. Wenn ich auf die Bühne gehe, bin ich nicht die Person Ingrid Caven, die jetzt auf die Bühne geht, sondern ein Instrument. Durch diese Distanz zu mir selbst habe ich auch eine Distanz zu dem Buch. Es heißt zwar „Ingrid Caven“, aber es ist auch der Roman eines Schriftstellers, mit seinem Stil und seinem Blick geschrieben. Es ist neu, es ist anders als ich, und das finde ich wunderbar.

Als Sängerin waren Sie nie besonders karrierebesessen. Ihre Konzerte haben Sie immer sehr homöopathisch dosiert.

Ja, es stimmt schon, ich hatte da immer eine gewisse Lockerheit. Ich wollte nicht immer arbeiten, und ich habe mir auch erlaubt, oft Nein zu sagen. Ich will auch nicht alles machen, denn wenn ich etwas mache, dann richtig. Dann entwickle ich eine geradezu erotische Beziehung zu den kleinsten Details. Wahrscheinlich hätte ich mit meiner Stimme auch eine größere, populäre Karriere machen können. Aber ich glaube, da hat mein Instinkt gut funktioniert, dass ich lieber auf einem Weg geblieben bin, der mich weiterbringt, auch wenn es dann vielleicht ein paar weniger Leute sind, die dann zuhören.

In der „New York Times“ wurden Sie mal mit Marlene Dietrich verglichen ...

Ach klar. (lacht) Die Frau hat ja auch Filme gemacht und gesungen und ist Deutsche. Und wir haben die gleichen Backenknochen.

Vielleicht liegt die Verwandtschaft eher in der Mischung aus Glamour und Bodenständigkeit ...

Na, es ist natürlich eine Ehre für mich. Ich bin vielleicht so eine Marlene, die durch den Rock ’n’ Roll gegangen ist. Auf die Frau können wir als Deutsche jedenfalls stolz sein. Gott sei Dank, dass wir die haben, die alte preußische Großmutter. Es ist doch wunderbar, dass damals nicht nur die Stimme von Adolf um die Welt ging, sondern eben auch die deutsche Stimme von Marlene.

Haben Sie auch Vorbilder oder Seelenverwandtschaften in der neueren Popmusik?

Na, die Björk finde ich toll. Ich denke, das ist eine durch und durch integre Musikantin. Ich habe das Gefühl, sie ist auch eine Instrumentalistin, so wie ich es empfinde. Sie lebt mit Haut und Haaren für das, was sie macht, und sie ist keine eitle Person, sondern sie kreiert sich auch immer wieder neu. Sie ist ihre eigene Schöpferin. Ich mag auch Madonna sehr gern, auch so eine Selbsterfinderin. Diese jungen Mädels sind mein Ozon, mein Sauerstoff. Ich wollte jedenfalls nie zu diesen ganzen Kabarettsängerinnen gehören, die immer noch den alten Hut von damals machen, und den sogar noch älter als die damals.

In den 70ern wurden Sie ja zunächst als Schauspielerin bekannt. Vor allem durch Fassbinder, aber auch durch Daniel Schmid. In Interviews erwähnen Sie im Zusammenhang mit dieser Zeit immer wieder das Wort Energie. Was genau meinen Sie damit?

Ich denke, wenn man in einem bestimmten Moment des Lebens eine ehrliche Energie bis zum Extrem treibt, ohne sich dabei nur auf den eigenen Bauchnabel zu konzentrieren, dann können dabei unglaubliche Sachen entstehen. Das versuche ich bis heute bei meinen Konzerten zu bewahren, auch wenn es mir nicht immer gelingt. Aber damals waren wir ja nicht die Einzigen. Es gab ja in den 70ern weltweit so eine Art freudige Revolution. Heute gibt es nur noch Einzelne, die so ein Gefühl aufbringen.

Fassbinder hat dieses Lebensgefühl „konkrete Utopie“ genannt ...

Gut, wir haben dieses Wort oft benutzt, aber es ist natürlich auch sehr gefährlich. Es geht ja nicht um einen Idealismus, der da irgendwie vor sich hinschwebt. Es geht um eine Idee, vielleicht eine Idee von Schönheit. Nicht die Schönheit, die man liftet oder durch Aufklatschen von irgendeinem Mist erhält, sondern eine Schönheit, die außerhalb von einem liegt. Es geht darum, etwas zu machen, das sich kristallisiert zwischen dem, was man realistisch nennt, und dem, was man mit ein bisschen Esprit aufwirbeln und verändern kann. Ganz bestimmt hat es auch mit Sehnsucht zu tun.

Sie haben die 70er allerdings nie verklärt, sondern immer auch sehr ehrlich über die Schattenseiten gesprochen, das Selbstzerstörerische, die Drogenexzesse usw.

Ich habe ja auch eine Zeitlang einiges genommen. Es ging darum, aus jedem Tag so viel Leben herauszuwringen, wie es nur geht. Ich habe mich oft gefragt, woher diese unglaubliche selbstzerstörerische Tendenz herkam, die gab’s ja nicht nur bei Rainer. Das hatte ja auch was Trauriges. Ich glaube, es hatte vielleicht doch mit dem Holocaust zu tun. Diese erste und zweite Nachkriegsgeneration kam einfach nicht klar mit dem, wozu Menschen letztlich fähig sind. Die Alten waren ja gar nicht fähig, sich damit zu konfrontieren. Aber jeder, der irgendwie künstlerisch-moralisch arbeiten wollte, musste sich damals fragen, wie es dazu kommen konnte. Ich bin sicher, es hat damit zu tun – selbst bei denen, die das gar nicht so bewusst analysiert haben.

In Jean-Jacques Schuhls Caven-Buch erfährt man über die 70er einiges, was so noch nicht bekannt war. Zum Beispiel, dass die RAF versucht hat, Kontakt mit Fassbinder aufzunehmen. Es gibt da eine fast filmreife Szene, in der Sie auf der Straße von einem Mitglied der RAF mit einer Spritze bedroht werden ...

Das war in Wirklichkeit schlimmer, als es in dem Buch rüberkommt. Wir hatten wirklich Angst. An Rainers BMW steckten immer wieder Zettel, in denen es um eine Kontaktaufnahme mit der Baader-Meinhof-Gruppe ging. Ich bin das Auto damals meistens gefahren und habe es ihm manchmal gar nicht gesagt, damit er keine Panik kriegte. Dafür hab ich es dann dem Peer Raben erzählt.

Was könnte die RAF von Fassbinder gewollt haben?

Wir hatten keine Erklärung. Zeitweise hatten wir Angst vor einer Entführung, aber in dem Zettel ging es immer nur um ein Treffen. Wir dachten uns dann, dass sie vielleicht den BMW wollten, denn mit diesen Autos fuhren sie damals rum. Das Ganze lief sehr lange, und ein paar Mal sind wir auch vor Angst Hals über Kopf verreist nach Griechenland, nach Rom usw. Und eines Tages begegnete ich auf der Straße dann diesem Kerl, der zur RAF gehörte und mich mit einer Spritze bedrohte, vielleicht weil ich ihn irgendwie überrascht hatte oder warum auch immer. Ich hatte wirklich furchtbare Angst.

Haben Sie eigentlich irgendjemanden von der RAF näher gekannt?

Ulrike Meinhof, allerdings bevor sie Baader kennen lernte und in den Untergrund ging. Wir kannten uns ja alle damals in München. Sie war eine wunderbare Frau, eine hervorragende, wichtige Journalistin. Sie war für uns alle sehr wichtig. Ich fand es immer sehr traurig, dass sie in diesen Weg gerutscht ist.

Ein anderes, bisher unbekanntes Detail ist der bizarre Zettel, der nach Fassbinders Tod in seiner Wohnung gefunden wurde. Darauf stehen 18 handgeschriebene Punkte, in denen er Ihr Leben erzählt. Die Punkte 14 bis 18 sind rein fiktiv, da sagt er voraus, dass Ihre Beziehung mit Jean-Jacques Schuhl zerbrechen wird, dass Sie künstlerisch scheitern und dass Sie bald sterben werden. Das alles ist nicht eingetreten. Haben Sie das Gefühl, ein Orakel überwunden zu haben?

Alles, was der Rainer gemacht hat, war immer auch ein Stück Inszenierung. Und in dieser Inszenierung seines Lebens war ich halt zufällig seine Frau und bin es auch nach unserer Trennung geblieben. Ich heiße ja auch im Pass immer noch Fassbinder. Die Geschichte mit dem Zettel habe ich all die Jahre für mich behalten, weil ich fand, dass sie nicht an die Öffentlichkeit gehört. Wir hatten noch acht Tage vor seinem Tod telefoniert, und er bat mich, zu ihm zu kommen, wenigstens für eine Zeit, weil es ihm schlecht ging, er lebte damals allein in der Wohnung. Er war aber so stark auf Drogen, dass ich mir nicht eingebildet habe, das so schnell ändern zu können. Ich hatte auch Angst davor. Das ist natürlich sehr schwer, einem Freund so etwas abzuschlagen, der dann kurz darauf stirbt. Ich bilde mir natürlich nicht ein, dass sich durch mich etwas geändert hätte. Aber es ist schwer zu verkraften. Deshalb habe ich den Zettel weggesteckt. Jetzt bin ich erleichtert und auch dem Rainer gegenüber froh, dass diese Sache durch das Buch gelöst wurde. In einer anderen, irgendwie würdigen Form.

INTERVIEW: KATJA NICODEMUS